Gespräche über die Wirklichkeit Impuls 7

Kürzlich nahm ich an dem online-Bibeldialog „Frag doch mal“ teil, den die evangelische Akademie Berlin veranstaltet und Tamara Hahn und Holger Schmidtke gestalten und moderieren. Das konkrete Thema erwähne ich nicht, hier geht es mir darum, dass zu durchaus kontroversen Fragen ein Gespräch stattfindet. Das ist wichtig und nicht selbstverständlich. Juli Zeh erklärt in einem Interview mit der ZEIT (Nr. 2, 2022) in der Rubrik „Streit“ gleich zu Beginn auf die Frage, warum sie Anfragen nach Essays absagt: „Ich schreibe schon seit einigen Jahren keine Essays mehr, weil ich die Lust verloren habe, am Schreibtisch zu sitzen und meine eigenen Ansichten auszuformulieren. Wir brauchen in diesen Zeiten nötiger denn je das Gespräch, den Austausch mit einem Gegenüber.“ Und Matthew B. Crawford bedauert in „Die Wiedergewinnung des Wirklichen“ im Abschnitt „Selbstschutz“, an einer Bar Wartezeit lieber mit virtuellen „Freunden“ und kurzen Textnachrichten zu überbrücken, als den Kontakt zur unbekannten Person direkt neben ihm zu riskieren: Im Gespräch würden wir erkennbar, könnten weniger kontrollieren, wie wir gesehen werden wollen. In unsere Repräsentationen von uns selbst, den anderen und der Welt bräche ein Stück Wirklichkeit herein, und wir ziehen es vor, uns nicht mit der störenden Gegenwart von anderen auseinanderzusetzen.

Hereinbrechende Wirklichkeit ist auch das Corona-Virus, nun in der Omikron-Variante. Diese thematisiere ich in dem Blogbeitrag „Enge Welt, weite Gedanken“: Da ist eine Wirklichkeit, die ist, wie sie ist, ganz unabhängig davon, was wir alles von ihr denken oder wie unterschiedlich wir sie uns vorstellen. Im Bibeldialog kam nun die Rede auf das zweite Gebot, das Bilderverbot. Dabei geht es nicht nur darum, sich kein Bild von Gott zu machen, sondern auch „keine Gestalt von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.“ (Ex 20,4) Denn Gott, so erläuterte Holger Schmidtke, ist, wer er ist – keine Zuschreibung von (abstrahierten) Eigenschaften kann ihn erfassen. Nun ist es kaum möglich, uns keine Vorstellungen zu machen, aber das Bilderverbot könnte uns dazu ermahnen, diese Eigenschaften nicht mit der Wirklichkeit – sei es von Gott oder irgendetwas – zu verwechseln. Oder als Gebot formuliert: Begegne der Wirklichkeit als einem echten Gegenüber außerhalb Deiner Macht und Kontrolle. Diese Begegnung wird auch Spannungen und Konflikte enthalten. Wenn der Glaube nur dies tut, diese Begegnung nicht als Kampf und Konfrontation zu sehen, sondern als Gespräch zu führen, in dem wir viel Interessantes nicht zuletzt über uns selbst erfahren können, so tut er viel.

W. D.

 

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