Präzise Worte der Wissenschaft – poetische Worte des Glaubens Querverbindungen 5

In diesem Beitrag möchte ich eine Unterscheidung bewusst machen, kein gut und schlecht gegenüberstellen. Das muss ich voranstellen. Denn es könnte so aussehen, als wolle ich Worte der Wissenschaft, die einen Gegenstand identifizieren, definieren, festlegen, um mit ihm umzugehen und ihn benutzen zu können, für minderwertig halten, dagegen Worte des Glaubens, die aufzeigen, hinweisen, einen Zusammenhang herstellen und Unaussprechliches durchscheinen lassen, für überlegen. Es sind aber zwei verschiedene Begriffe, die sich nicht einfach nebeneinanderstellen und vergleichen lassen, ganz so wie man einen wissenschaftlichen Aufsatz und ein Gedicht nicht vergleichen kann.

In seinem Buch „Unverfügbarkeit“ beschreibt der Soziologe Hartmut Rosa etwas, das er „identifizierendes Denken” nennt. Er zitiert in diesem Zusammenhang ein Gedicht von Rainer Maria Rilke:

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.

Rosa schreibt: „Das identifizierende Denken beraubt uns aber der Möglichkeit, mit einer begegnenden Sache als mit einem unverfügbaren Gegenüber, auf das und zu dem wir erst mal hinhören müssten, bevor wir antworten könnten, in Beziehung zu treten.“ Er verwendet als Beispiel den Mond: Das ist ein kraterübersäter Felsbrocken ohne Leben im Weltall, durch die Gravitation auf Jahrmillionen an seinen Orbit um die Erde gebunden. Keine Frage, das ist der Mond. Worum geht es dann in dem Lied „Guter Mond, du gehst so stille“? Die Empfindungen, die dort mitschwingen, möchte man nicht mit einem Menschen teilen, der nur den starr und stummen Mond, das umgebrachte Ding, zu sehen vermag.

Anders als Rilke freut sich Joseph von Eichendorff in seinem wahrscheinlich bekanntesten Vierzeiler mit dem Titel Wünschelrute auf der Menschen Wort, wohl vor allem auf des Dichters Wort:

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.

Der Philosoph Hermann Schmitz, Begründer der „Neuen Phänomenologie“ sagt, dass wir Menschen uns laufend in Situationen vorfinden, die zwar bedeutsam sind, aber in ihrer Bedeutsamkeit „binnendiffus“. D.h., wir können das Ganze einer Situation möglicherweise intuitiv erfassen, doch wird es nie restlos gelingen, eine Situation in aussagbare Einzelheiten aufzulösen. Wer letzteres analytisch versucht, wird scheitern. Tatsächlich ist es Zeichen hermeneutischer Intelligenz, einige wenige Einzelheiten an kritischen Punkten so zum Ausdruck zu bringen, dass das Ganze der Situation durch das dünne Netz aus Worten durchscheint. Das ist das Fach der Poesie, aber auch Grundstein jeder Meisterschaft, die sich Menschen oder Menschengruppen zuwendet.

Was Schmitz „binnendiffus“ nennt, bezeichnet Rosa als „unverfügbar“, wenn bei Schmitz das Ganze der Situation durchscheint, können wir damit nach Rosa eine Resonanzerfahrung machen. Das sind keine Dichter-Worte, sondern wissenschaftliche Worte. Aber ich finde nicht, dass sie die bezeichneten Dinge töten, sie sagen mir etwas. Also können sich Wissenschaft und Poesie wohl doch berühren.

W. D.

 

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