Der dreiteilige Vortrag findet sich im verlinkten .pdf-Dokument von 7 Seiten. Hier im Blog fasse ich zusammen, worum es geht – veranschaulichende Beispiele finden sich dort.
Im ersten Teil erläutere ich, woraus ein Weltbild besteht und charakterisiere das, was ich für das vorherrschende Weltbild halte. Es kommt mir darauf an zu zeigen, dass sich ein Weltbild keinesfalls eindeutig aus den diesem Weltbild zugrundeliegenden Erfahrungsdaten ergibt. Ganz unterschiedliche Naturgesetze können dieselben Daten erklären, und diese legen geradezu widersprüchlich anmutende Weltbilder nahe. Keine Frage: Steht das Weltbild in Widerspruch zu den Daten, ist es falsch – deshalb ist es nicht beliebig. Aber indem die Daten verschiedene Weltbilder erlauben, ergibt sich eine gewisse Willkür oder Freiheit der Wahl.
Das vorherrschende Weltbild besagt, dass die Welt aus objektiver Materie besteht, die sich kausal determiniert, sozusagen von Tatsache zu Tatsache fortentwickelt. Ihm zufolge entsteht Leben emergent aus der Komplexität der Moleküle, die erste, sich reproduzierende Zellen, bilden. Ähnlich sei Bewusstsein ein Epiphänomen der komplexen elektrischen und chemischen Prozesse im Gehirn. Da dieses Weltbild für alle Phänomene gelten soll, es also keine (Teil-)Welt gibt, die andere Phänomene erlaubt, ist es ein monistisches Weltbild, und der Mensch ist davon nicht ausgenommen.
Im zweiten Teil führe ich die Metapher vom Korsett ein. Im Unterschied zu Naturgesetzen sind Metaphern nicht richtig oder falsch, sondern haben Stärken und Grenzen. Sie sind angemessen zur Fokussierung auf bestimmte, der Metapher ähnliche Aspekte eines komplexen Sachverhaltes, der nicht mehr umfassend mit Naturgesetzen beschrieben werden kann. Ich führe einige Stärken und Grenzen an, wenn man sich das Weltbild als Korsett vorstellt: Es stabilisiert und bietet Sicherheit, aber es kann auch zu eng sein und zwicken. Insbesondere zwickt die menschliche Erfahrung, eine zumindest gewisse Entscheidungsfreiheit zu haben und damit den Lauf der Welt in diese oder eine andere Richtung lenken zu können. Nimmt sich der so denkende Mensch aus dem Weltbild aus – hier ich, dort die Welt – so zwickt der Monismus, demnach auch der Mensch ganz zur Natur gehört und keine Sonderwelt für sich beanspruchen kann.
Da wir unser Weltbild in Begriffen denken, spreche ich von einem geistigen Korsett. Begriffe sind Abstraktionen von Erfahrungen und ergeben sich wie das Weltbild nicht eindeutig aus den Erfahrungen. Damit sind sie in gewissen Grenzen frei, werden aber durch Definitionen festgelegt, um mit ihnen Begriffsgebäude errichten zu können. Auch diese können Spannungen enthalten und damit zwicken.
Der dritte Teil schließlich besteht aus einer Serie von neun „Lockerungsübungen“. Sie zielen darauf, das Korsett in bequemere, passende Kleidung zu wandeln. Dabei werden Erkenntnisse der Quantenphysik auf das Weltbild übertragen, das dadurch näher an unsere Alltagserfahrung rückt, obwohl sich entsprechende „Objekte“ sehr seltsam verhalten, jedenfalls nicht so, wie man sich objektive Tatsachen vorstellt. Damit wird eine Tür geöffnet für die Idee, dass wir Menschen auch mit anderen Dimensionen der Wirklichkeit zu tun haben, und dass wir ebenfalls keine Objekte sind, die wir in unserer Verfügungsgewalt und unter Kontrolle haben können. Was sich hinter der nun offenen Tür an Wirklichkeit erschließen lässt, ist allerdings nicht mehr Thema dieses Vortrages.
W. D.
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Im Vortrag von Winfried Dressler spielen die Worte “Weltanschauung” und “Weltbild” eine wichtige Rolle. Es ist interessant, dass es im Englischen und auch im Französischen keine adäquate Übersetzung dieser Begriffe gibt. Es gibt Umschreibungen, Begriffe, die Teile umfassen, wörtliche Übertragungen aus dem Deutschen, aber diesen Sprachen fehlt der Kern dessen, was die Begriffe im Deutschen sagen wollen. Ich bin der Meinung, dass es diesen Kern gar nicht gibt, dass er eine deutsche Überheblichkeit ist, ein fataler Irrweg, ein Nationalübel und für manche Menschen vielleicht ein angebeteter Götze.
Ein Denken, dem die Vorstellung einer Weltanschauung zugrunde liegt, erweckt die irrige Vorstellung, man könne die Gesamtheit der Wirklichkeit mit Begriffen und durch Prinzipien beschreiben, benennen und als geschlossenes System zugänglich wenn nicht gar verfügbar machen. Ich glaube nicht, dass das gelingen könnte – auf keinen Fall auf der Basis der klassischen Physik. Es ist uns außerdem gesagt, dass wir uns kein Bild von Gott machen sollen. Eine Weltanschauung gerät in gefährliche Nähe dazu.
Der Autor, Winfried Dressler, hat ein Gespür für dieses Dilemma, aber er scheut sich, den Hörern die Wahrheit zuzumuten. Daher empfiehlt er Kompromisse, die die Ungereimtheiten des Weltanschauungs-Wahns übertünchen sollen. Leider wird nur leise angedeutet, dass eine zeitgemäße Physik die Säulen eines geschlossenen Weltbildes, nämlich die Ideen des Determinismus, der Vollständigkeit und des Monismus längst zerbröselt hat und damit das Bilderverbot weitgehend befolgt. Wir dürfen uns von alten Irrtümern befreien und uns der Weite einer nur teilweise begreiflichen, aber freundlichen Wirklichkeit erfreuen.
Vielen Dank für den Kommentar, gibt er mir doch die Möglichkeit klarer zu fassen, was als übertünchender Kompromiss und nur leise Andeutung erschienen sein mag.
Das Wort Weltanschauung benutze ich überhaupt nicht. Es entspricht dem englischen worldview – eine Art, die Welt zu sehen. Dem Wort nach ist sie nicht an ein fixiertes Weltbild gebunden und dann unproblematisch. In dem Vortrag geht es um die Problematik von Weltbildern und wie die Anhaftung an eine solche Vorstellungswelt gelockert werden könnte. Das ist meiner Erfahrung nach völlig unmöglich, solange das Weltbild für die Wahrheit gehalten wird. Deshalb hilft es nichts, einem Menschen im festen Griff seines Weltbildes “die Wahrheit zuzumuten”. Da steht dann Aussage gegen Aussage, während doch die Begründungen das eigentlich Interessante sind.
Das mit den übertünchenden Kompromissen verstehe ich nicht. Es ist ja nicht so, dass ich Schmerzmittel verteile und das Korsett bunt anmale, damit der Zuhörer es, ohne das Zwicken zu spüren, stolz und gestärkt weiter tragen kann. Stattdessen bin ich folgende Schritte gegangen:
1.) Ein Weltbild ist per se nicht eindeutig. Es mag EINE Weise sein, die Welt zu sehen, ist aber nicht DIE (einzig mögliche) Weise. Das gilt bereits für die klassische Physik: Man kann sie als kausal getrieben (Newton) oder final bezweckt sehen (Hamilton).
2.) Statt kompromisshaftes Übertünchen versuche ich das Zwicken deutlich spürbar zu machen: Entscheidungen im Sinne einer Zielverfolgung gibt es im vorherrschenden Weltbild nicht, gehören aber zu unserem Alltag.
3.) Die Lockerungsübungen 3-7 dürfen von mir aus als “zerbröseln” des vorherrschenden Weltbildes aufgefasst werden. Ich bin da in meinen Formulierungen vorsichtig, weil ein aufgehobener Stein treffender klassisch als quantenmechanisch beschrieben wird. Da ein Mensch aber weder ein objekthafter Stein noch ein quantenmechanisches Elementarteilchen oder Atom ist, sondern etwas viel, viel komplexeres mit Anteil an vielen Dimensionen der Wirklichkeit, müssen wir vorsichtig in der Wahl jener Naturgesetze sein, die wir für unser Selbstverständnis als paradigmatisch und dann metaphorisch heranziehen. Deshalb begründe ich die Neuwahl nicht mit Doppelspaltexperimenten und Quantenverschränkung wie sonst schon so oft getan, sondern mit alltäglichen Erfahrungen, die vorher nicht gepasst haben, sich nun aber gut einfügen. Ich denke aber nicht, dass diese Vorsicht meine Denkübungen zu einer (kaum noch erkennbaren) “leisen Andeutung” macht.
4.) Im Gegenteil: in den letzten beiden Übungen rege ich an, die neuen Vorstellungen ernst zu nehmen und sowohl die Chancen daraus zu ergreifen (7.) als auch das unsägliche Kontrollbedürfnis (hierzu ausführlich: Hartmut Rosa, Unverfügbarkeit – kann ich sehr empfehlen) zu lockern (8.).
Vom Bilderverbot konnte ich nicht ausgehen – schließlich habe ich nicht mit biblischer Autorität argumentiert. Freilich lässt sich den Ausführungen ein gewisser Sinn für ein Bilderverbot entnehmen: Was nur teilweise real wird und ansonsten im Möglichen verbleibt, lässt sich nicht vollständig erfassen und damit bildhaft fixieren. Das wäre tatsächlich nur eine leise Andeutung – ich bin kein Theologe und überblicke nicht, was uns das Bilderverbot biblisch alles zu sagen hat.
Wir dürfen uns von alten Irrtümern befreien – ja. Freilich leben wir in einer Zeit, in der Menschen daran arbeiten, uns von anderen “alten Irrtümern” zu befreien, paradoxerweise z.B. von der Vorstellung von Freiheit. Wenn uns verunsicherten und orientierungslosen Menschen mit wissenschaftlicher Autorität erklärt wird, alles, was wir für menschlich hielten, sei Illusion in einem zufällig/notwendigen, kalten Universum, dann scheint es mir notwendig, Auswege zu zeigen. Dass uns dort eine “nur teilweise begreifliche, aber freundliche Wirklichkeit” umfängt, der wir uns erfreuen können, das wird vielleicht nur erfahren, wer die abschließende Frage der letzten Lockerungsübung für sich so beantworten kann.
Danke für die Antwort auf meinen Kommentar. Sie hilft mir sehr, den Vortrag besser zu verstehen. Ich hatte nicht verstanden, dass die Anhaftung an die Vorstellungswelt eines Weltbildes gelockert werden soll, sondern ich hatte den Eindruck, dass eine an sich falsche Vorstellungswelt mit kleinen Reparaturen repariert werden soll. So schien mir der letzte Absatz eine überraschende Wendung auszudrücken. Danke für die Richtigstellung!
Im Etymologischen Wörterbuch des Deutschen (Edition Kramer, 2012) findet man zum Wort “Bild” u.a. Folgendes: “Im Dt. weist Bild … schon in der ältesten Sprachstufe eine reiche Bedeutungsdifferenzierung auf … ” Beim heutigen “Weltbild” ist es wohl ähnlich.
Das ist verständlich: Unsere Anschauungen werden aus zwei Quellen gespeist, dem uns Bewussten und dem uns Unbewussten (siehe John Bargh, Vor dem Denken – wie das Unbewusste uns steuert, Droemer Taschenbuch, 2022). Wie können wir da Gewissheit haben ? Wohl nur und in dem Maße wie eine signifikant große Zahl ernsthaft und ehrlich bemühter Menschen (Forscher) Untersuchungsmethoden, Bewertungsprinzipien für die Dinge der Welt entwickelt und – ganz wichtig – dies stets fortsetzt.
Vielen Dank für den Kommentar, der ein gutes Beispiel für die scheinbare Eindeutigkeit und dann doch Mehrdeutigkeit des Weltbildes enthält:
Ich nehme nur den Titel des genannten Buches: “…wie das Unbewusste uns steuert.” Man erkennt sofort das kausale Weltbild dahinter: Was wir denken (und tun) hat eine kausale Ursache, und wenn diese uns nicht bewusst ist, dann ist sie eben unbewusst. Vermutlich wird das Buch genau das herausarbeiten und damit Gründe sammeln, dass es so IST (und nicht anders).
Ich kontrastiere mit einem andern, möglichen Titel: “…wie das Unbewusste uns führt.” Oder gar: “…wie unsere Seele uns führt.” Hier fließt ein finales Weltbild ein, das dieselben Beobachtungsdaten durch eine andere Brille interpretieren würde, vielleicht noch weitere Beobachtungen sammelt, die John Bargh nicht berücksichtigt hat. Im Vortrag habe ich diese beiden Sichtweisen am Beispiel der Newtonschen und Hamiltonschen Mechanik beschrieben.
In seinem Hauptwerk, “Die Welt als Wille und Vorstellung” hat der Philosoph Arthur Schopenhauer das Unbewusste vorgedacht: Während sich das Denken alle möglichen Vorstellungen macht, wirkt im Verborgenen der Wille. Freilich strebt der Wille etwas an und lässt sich nicht treiben.
Eine schöne Verbindung beider Weltbilder schafft das Wort von der Willenskraft: Der Wille setzt die verursachenden Kräfte ein, um sein Ziel zu erreichen. Das wirft auch einen entlarvenden Blick auf den Forscher: Er erarbeitet die Instrumente, die ein Wille zu seinen Zwecken einsetzen kann. Von daher wird verständlich, für welche Forschungsvorhaben Gelder zur Verfügung gestellt werden und für welche nicht.
Freilich bewegen sich diese Überlegungen ganz im Rahmen des “vorherrschenden Weltbildes”. Da ich das genannte Buch nicht kenne, will ich dem Autor nichts unterstellen. Für mich wird das Bewusstsein erst im “gelockerten” oder “Jeans und T-Shirt”-Weltbild interessant: Was zeigt sich real? Was verbleibt im Möglichen? Was passiert, wenn ich versuche, es zu fassen zu bekommen? Auch stellen sich erst dann die Fragen, die ich in den Lockerungsübungen 8. und 9. angeführt habe. Ich stelle mir einen Forscher vor, dem die Frage aufgeht: “Was mache ich hier eigentlich?”, dann in den Spiegel schaut und beruhigt feststellt: “Das macht alles mein Unterbewusstsein. Da bin ich aber beruhigt.” Irgendwie “funktionieren” wir Menschen so nicht. Etwas zwickt da ;-).