Wir alle wollen verkabelt sein Ein Impuls zu Seele, Religion – und Handy

Wir haben kein Problem damit, im Alltag von einer guten, edlen oder von einer verletzten, kranken Seele zu sprechen, da seelisches Erleben eine Grunderfahrung unseres Lebens ist. Zwar zeigt uns die wissenschaftliche Erforschung des Gehirns im experimentellen Beobachtungsfeld erstaunliche biochemische und andere messbare Prozesse, ein Ort für so etwas wie die Seele ist allerdings bis heute nicht aufgespürt worden. Für die Phänomene, die mit dem inneren Erleben eines fühlenden, denkenden und handelnden Menschen zusammenhängen und auf Grund derer wir uns als beseelte Wesen verstehen, finden wir kaum zufriedenstellende wissenschaftliche Erklärungen.

Doch wir werden vom Leben selbst zur Erkenntnis gezwungen, dass das, was sich in unserem Inneren beständig abspielt, größer ist als alles, was uns unsere rationale Vorstellungs- und Begriffswelt vorgaukelt. Dieses innere Geschehen bewegt sich in einem schier unendlichen seelischen Raum, überwindet Grenzen von Raum und Zeit und letztlich auch von Sprache. Worte reichen nicht aus, um den Reichtum unserer Empfindungen einigermaßen auszudrücken.

Unser innerer Lebensmittelpunkt scheint ohne einen metaphysischen Zusatzrahmen kaum fassbar. Luther schrieb, dass der befreite Christenmensch sein Zentrum außerhalb seiner selbst habe, und er „gehalten ist in Gottes schöpferischem Geistwirken“. Damit knüpft Luther den Menschen und seine Seele an eine Gottesbeziehung. So lässt sich unsere endlose Suche nach Lebensglück und Sinnerfüllung als ein ungestillter Bedarf an Transzendenzerfahrungen vermuten.

Unsere Transzendenzsehnsucht kann sich in dem Bedürfnis äußern, etwas Nichtalltägliches zu erleben oder schaffen zu wollen. Wir transzendieren, wenn wir eine Verbindung zu etwas suchen, das über unsere eigenes persönliches Erleben hinausgeht.

Und wir wollen nicht abgehängt, sondern fest und immer und zuverlässig angeschlossen sein an die große Welt und an all die Menschen um uns herum, mit denen wir uns freundschaftlich verbunden fühlen. Wir fühlen uns verankert und umgeben in einem mitmenschlichen Beziehungsraum, den wir als gefühlsgetragenen, transzendenten Ort verstehen können, der uns eine Erfahrung des Aufgehobenseins in einem Größeren und Umfassenderen vermittelt.

Eine emotionale Ergriffenheit, die uns erfasst, wenn wir immer und an allen Orten für liebe Menschen ansprechbar sind, kann religiös genannt werden,  da sie Sinnerfahrung und Bedeutsamkeit vermittelt. In dem alten Wort „religio“ (lateinisch) steckt das Verb „ligare“ für verbinden, heute auch als verkabeln übersetzbar. Religion ist Rückbindung und vom ursprünglichen Wortsinn auch ein zuverlässiges Verkabeltsein. Im Bedürfnis, „verkabelt“ im Sinne von „vernetzt“ zu sein, kann man das Bedürfnis nach Religion wiedererkennen.

Wie sagte doch Friedrich Schleiermacher vor rund 250 Jahren: „Religion ist Sinn und Geschmack fürs  Unendliche“. Also eine Ahnung für das, was uns selbst unendlich übersteigt und dessen Teil wir andererseits auch unaufhebbar sind und bleiben wollen. In unserem Lieblingsgerät, dem Handy, kommt ein religiöses Urbedürfnis, nämlich an ein größeres Ganze angeschlossen sein zu wollen, tagtäglich und unüberhörbar zum Ausdruck. Wir empfinden so eine religiöse Rückbildung und fühlen uns einbezogen in einen emotionellen Kontext, der unserem Leben Bedeutung und Sinn verleiht.

M. S.

 

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