Über Schulterschluss und Brückenschläge Fundstück 12

Mit einem Ohr verfolge ich den Diskurs im ea-Arbeitskreis über Predigtkultur und Kirchenreform. Einerseits wird angemahnt, dass ein Pfarrer, eine Pfarrerin gut verankert ist in ihrer wohl reflektierten Theologie, um sich von daher auf konkrete Lebensherausforderungen beziehen zu können. Andererseits, so mahnen andere Stimmen an, darf eine Predigt – und die Theologie insgesamt – auch Anregungen aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen aufgreifen, die weitgehend unser Welt- und Menschenbild prägen.

Mein heutiges Fundstück entnehme ich einer Mail von Dr. Menno Aden, Präsident des Oberkirchenrates (Schwerin) a.D., an den Arbeitskreis zur Kirchenreform: „Ich halte es aber für problematisch, in die jetzige Diskussion um den künftigen Weg der Kirche und des Glaubens, Fragen der modernen Physik und Mathematik hineinzutragen. Das wird praktisch seit Anbeginn versucht – aber der Gott, an den wir glauben können, ist ein verborgener Gott. Was er von sich offenbaren will, hat er uns durch Jesus und die Bibel gesagt. Mehr nicht.” Problematisch vielleicht, aber noch problematischer scheint mir der Verzicht, gar Ausschluss naturwissenschaftlicher Fragen aus einem Diskurs, der auf Glaubensreform zielt. Deshalb habe ich mich – für diesen Beitrag überarbeitet – an diesem Diskurs beteiligt:

„Sie beschreiben einige sehr schöne Beispiele für Bedeutungsverschiebungen im Laufe der biblischen Überlieferung, besonders markant bei Übersetzungsversuchen. Jede Bedeutung gewinnt dabei ihre Wirkungsgeschichte. Was hat uns Gott aber ‚eigentlich‘ sagen wollen?  Auch im Buch der Natur ist Gott ein verborgener Gott, der sich – als Schöpfer – dennoch in ihm offenbart. Auch hier: Mehr nicht. Doch immerhin eine weitere Quelle. Auch hier geraten wir auf Abwege, die ein fortgesetztes Forschen und Nachdenken gelegentlich aufzulösen weiß. Auch hier nie mit abschließendem Anspruch.  Wenn also auch die Lektüre in beiden Büchern Probleme macht, ist es doch lohnend, sie trotz oder besser mit diesem Problembewusstsein beide zu lesen.“

Yuval Noah Harari schreibt, dass sich Menschen vom Tierreich abheben, indem sie in wesentlich größeren Zusammenhängen als der unmittelbaren Sippe kooperieren können. Sie schaffen dies, indem sie sich Geschichten erzählen – von Werten, von Gott oder von Geld – die dann als Machtgrundlage dienen, um eine angestrebte Ordnung durchzusetzen und zu bewahren. Mit Wahrheit müssen diese Geschichten nichts zu tun haben. So bestehe Gottes Wirklichkeit ausschließlich aus den menschlichen Erzählungen über ihn. Doch, so möchte ich zurückfragen, wäre das nicht zu wenig? Wie ließe sich belegen, dass das nicht alles ist, sondern dass die Erzählungen ihren Grund in Erfahrungen einer eigenen Wirklichkeit haben, die Menschen mit dem Göttlichen machen?

Sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen bedarf aller Quellen göttlicher Offenbarung, die wir finden können. Denn es ist unser säkularer Zeitgeist, Gott in keinem der beiden Bücher sehen zu wollen – das eine sei menschliche Erfindung, das andere der Notwendigkeit oder dem Zufall geschuldet.

Hier scheint mir also der Schulterschluss zwischen Theologen und Naturwissenschaftlern wünschenswert, die das Göttliche nicht ad acta gelegt haben, sondern weiter auf sein Wirken hoffen und vertrauen. Der säkulare Zeitgeist anerkennt entweder rein naturalistisch nur Tatsachen, oder er sieht in den Bedeutungen aus menschlichen Erzählungen wie Harari die höchste Geistigkeit – unsere Geistigkeit –, aus der heraus wir die Welt gestalten. Besorgt sehen wir die zunehmende Spaltung, die tief in die jeweiligen Menschenbilder hineinreicht, was sich wiederum in kontroversen Haltungen zu künstlicher Intelligenz und dem Anstreben post- und transhumanistischer Träume ausdrückt. So fragen wir uns, wie denn hier Brücken gebaut werden könnten.

(Dies ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung des gleichnamigen Artikels in den evangelischen aspekten vom November 2024.)

W.D.

 

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1 Gedanke zu „<span class="entry-title-primary">Über Schulterschluss und Brückenschläge</span> <span class="entry-subtitle">Fundstück 12</span>“

  1. Sehr geehrter Herr Dressler
    Ich stimme Ihrem Beitrag in allen Punkten zu.
    Schon die vielen verschiedenen deutschen Bibelübersetzungen (die fortwährend revidiert werden und auch wirklich revidiert werden müssen) zeigen ja, wie wir immer neu nach dem Verstehen der biblischen Texte fragen müssen. Zu sagen, die Bibel genügt – und nicht nach dem Verstehen zu fragen, griffe zu kurz. Das machen auch die verschiedenen Kommentare innerhalb der Theologischen Wissenschaft deutlich. Und die Diskussion mit den Naturwissenschaften zu verweigern bedeutet, sich selbst zu behindern. Freundliche Grüsse,
    Matthias Hochhuth, Pfarrer in der Schweiz.

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