Offene Enge Fundstück 3

Das kenne ich ebenfalls: Wenn ich mich als Christ zu erkennen gebe, sind manche Menschen mit rein naturwissenschaftlich geprägtem Weltbild schnell bereit, mich über die unaufgeklärte Enge meiner religiösen Vorstellungen aufzuklären. Z.B. dass Religion ja wohl bestenfalls eine „Krücke“ für unselbständige Menschen sei. „Faktisch seien es Naturwissenschaft und Technik, die den Takt der Entwicklung im realen Leben in Beruf und Gesellschaft vorgeben.“ An solche „einseitigen Gespräche“ samt „unerfreulicher Belehrungsversuche“ erinnert sich Dr. Hans Birkel in seinem Beitrag zu den evangelischen aspekten, Heft 3 August 2019 (Thema: „Naturwissenschaften“) mit dem Titel: Der Pfarrer und der Naturwissenschaftler. Das Fundstück ist daraus und lautet: „Eine gewisse Fassungslosigkeit über die unaufgeklärte Enge eines solchen naturwissenschaftlich geprägten Selbst- und Lebensverständnisses blieb mir im Gedächtnis und beunruhigt mich bis heute.“

Freilich kenne ich auch Belehrungsversuche, die in die entgegengesetzte Richtung laufen. Dann ist statt von Aufklärung von Bekehrung die Rede. Der Gesprächspartner versucht beispielsweise, einen existenziellen Angstpunkt zu finden und fordert mich auf, Jesus Christus als Retter zu wählen. Die Drohung des „sonst…“ kann dann auch mal unausgesprochen bleiben. In Analogie zum obigen Fundstück bleibt mir eine gewisse Fassungslosigkeit über die angstbesetzte Enge eines solchen gläubig-klammernden Selbst- und Lebensverständnisses im Gedächtnis. Und in der Tat, auch dieses beunruhigt mich.

Es mag für das Selbstwertgefühl angenehm sein, sich selbst einer höheren Weisheit als der des Gesprächspartners gewiss zu sein, egal ob Aufklärung oder Bekehrung, aber ein fruchtbares Gespräch kommt so nicht zustande. Dazu muss das Gespräch „zweiseitig“ werden, offen für die Fragen, die beide aneinander zu stellen haben. Das ist es wohl, was Dr. Birkel vermisst hat.

Vielleicht ist es eine gute Idee, grundsätzlich von der Enge des eigenen Horizonts auszugehen, der sich aus dem ergibt, was vom eigenen Standpunkt aus sichtbar, annehmbar, plausibel erscheint. Dann kommt alles darauf an, diesen Horizont nicht einzuzäunen, gar zum All zu überhöhen, sondern offen zu bleiben für das, was es dahinter geben mag. Das muss gar nicht bis zur göttlichen Transzendenz gehen. Es reicht, auf einen anderen Menschen zuzugehen, wissend, dass auch er einen engen Horizont hat, der aber Elemente enthält, die außerhalb meines Horizonts liegen. Anstatt im eigenen Standpunkt zu erstarren, lassen wir uns von anderen Standpunkten einladen, einen Spaziergang zu unternehmen. So wird jedes Gespräch zur gegenseitigen Horizonterweiterung.

Das Ziel einer solchen Horizonterweiterung dürfte ebenfalls für keine zwei Personen gleich sein. Für die, die sich in Gottes Schöpfung aufgehoben und getragen wissen, steht vielleicht die staunende Erkundung all der Wunder der Natur im Vordergrund. Wer sich als zufälliges Staubkörnchen auf einem Staubkorn im riesigen Universum begreift, mag eher den Versuch unternehmen wollen, das Ganze in einer „Weltformel“ fassen zu können, und sei es nur als ultimative Bestätigung des Selbstverständnisses: Wenn schon ein Staubkorn, dann eines, das die Welt verstanden hat.

Das sind natürlich nur meine Gedanken und als solche völlig innerhalb meines persönlichen, engen Horizonts. Gerne lasse ich mich im Gespräch zu weiteren Sichtweisen mitnehmen.

WD

 

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1 Gedanke zu „<span class="entry-title-primary">Offene Enge</span> <span class="entry-subtitle">Fundstück 3</span>“

  1. Den Horizont erweitern ist Aufforderung, ja Gebot seit der Aufklärung zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Heute stehen wir nun vor dem Problem, sich in einem schier ins Unendliche erweiterten Horizont zurecht zu finden. Wo sind da Landmarken, Koordinaten ? Bis heute bin ich gewohnt, wenn ich mit dem Auto über Land fahre, vorher auf den Atlas zu schauen, weiß dann auch ohne, in welche Himmelsrichtung jeweils mein Ziel liegt, erkunde gerne das Land dazwischen (bin Rentner und habe Zeit dafür). Fast alle Freund verlassen sich jedoch auf ihr Navi. Es führt zielgenau, meistens jedenfalls.

    Brauchen wir Navis zur Horizonterweiterung ? Vielleicht – am Ziel angekommen könnte sich aber zeigen, dass unsere Erwartung daran getäuscht hat; bei Erkundung des Landes hätten wir ergiebigere Ziele entdecken können. Seinen Horizont erweitern bedeutet, sich darauf einzulassen und bleibt ein Abenteuer.

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