Vielfalt nah und Weite fern,
Welten groß und klein.
Achtsame Naturwanderer sind Ähnlichkeiten gewohnt: Moose untereinander, Kräuter mit Sträuchern, Sträucher mit Bäumen. Funktionale Beziehungen verbinden Gestalten ganz unterschiedlicher Art, z.B. durchziehen Baumwurzeln den umliegenden Boden und umklammern Steinblöcke auf der Suche nach Halt. Zusätzlich werden Wanderer häufig von Außergewöhnlichem überrascht: der Eiche mit knotig verwachsenen Ästen, dem Fels-Turm am Ende einer Bergnase, auf einer sonnenwarmen Bergwiese wächst der seltene Aschwurz.
Kleine Welten
Zu Beginn steckt unser Wanderer noch im Grundrauschen der Alltagsgedanken, gleichzeitig zieht es ihn zum geplanten Ziel. Diese Ambivalenz weicht bald einer Offenheit für Erlebnisse unterwegs.
Der Blick wandert den Weg voraus, verweilt an starken Bäumen, knorrigem Geäst, Sträuchern, grünen Mooskissen. Sie bleiben zurück. Neue Bäume, Büsche, Moospolster rahmen den Weg. Die Gedanken eilen voraus zur nächsten Wegbiegung. Was erwartet unseren Wanderer dort? “Warum habe ich meinen Blick vom knorrigen Baum, vom weichen Moos gelöst? Was wird es Neues zu entdecken geben?” Die aufgehoben geglaubte Ambivalenz zeigt sich nun im Kleinen zwischen zurückgelassenen und erwarteten Eindrücken. Diese werden zwar ähnlich, aber doch im Einzelnen anders, vielleicht sogar außergewöhnlich sein. Hierin erkennt der Wanderer nun ein Paradigma des Lebenswegs.
Ein Stück Weg hinter der Biegung öffnet sich eine kleine Lichtung. Den Rand bilden hohe Fichten, Strauchaufwuchs füllt die Zwischenräume. Am Rand der Lichtung liegt ein flacher Stein. Unser Wanderer kennt ihn, setzt sich, schaut umher und sagt zu sich: “Das hier ist eine kleine Welt für sich und ich bin für kurze Zeit ihr Gast!” Nach einer Pause geht er weiter. Nun achtet er besonders auf die Strukturen entlang des Wegs. Allenthalben zeigen sich solche kleinen Welten. Sie sind durch Baumreihen, Gebüsch, Totholz voneinander getrennt. Wie entstehen sie? Den Anfang machen wohl Wind- und Schneebrüche oder forst- und landwirtschaftliche Eingriffe. So überlegt unser Wanderer – bis der Blick auf eine Grasfläche am Wegrand fällt, eingerahmt von krautigen Stängeln. Ihm wird bewusst: Einen Teil der kleinen Welten entlang des Wegs formte er selber durch seine Naturverbundenheit, weil er diese Flächen als einladend, beherbergend empfand. Doch haben sie auch Bestand? Würde er seine kleinen Welten einst wieder erkennen? Er weiß: „Die Natur wächst weiter, bringt stets neue Strukturen hervor und zerstört alte. Die Natur ist ein dynamisches, ein kreatives System!” Und das gilt ebenso für seine eigenen Gedanken. In ein paar Jahren werden ihm neue kleine Welten in der Natur begegnen – und mit ihnen auch neue Fragen bewegen.
Nach einiger Zeit öffnet sich der Wald, eine Wiese zieht sich den Hang hinunter. In der Ferne zeichnen Bergrücken und -kuppen eine wellige Linie am Horizont. Unserem Wanderer wird bewusst, was er den Weg über schon wahrgenommen hatte: “Diese weite Landschaft besteht aus einem Netzwerk sehr kleiner bis ziemlich großer Welten!” Sie sind auf beruhigende Weise ähnlich und bieten doch im Einzelnen viel zu entdecken. Und Dankbarkeit für diesen Ort füllt sein Herz.
Unter Mitwirkung von W.D. gekürzte Fassung des Texts „Kleine Welten“ von Rudolf Ahrens-Botzong, Mitglied im AK, auf der Webseite des Museum für Naturschutz, Staudernheim/Nahe. (Link: https://www.nahe-natur.com/Freinatur/Aesthetik/ )
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