Gott – der Partner unserer intimsten Selbstgespräche? Brücken 2

Viktor E. Frankl, Neurologe, Psychiater, KZ-Überlebender und Begründer der Logotherapie, hat die Psychotherapie mit einer Frage radikal geöffnet: „Wozu?“ Statt nach dem Warum eines Symptoms zu fragen, rückte er den Sinnhorizont in den Mittelpunkt. Denn der Mensch, so Frankl, ist nicht bloß ein Triebwesen, sondern ein Sinnwesen – fähig zur Selbsttranszendenz, zur Ausrichtung auf etwas, das ihn übersteigt. Im „Wozu“ liegt für ihn die tiefste Quelle menschlicher Würde – und vielleicht auch ein vorsichtiger Brückenschlag zwischen religiösen und säkularen Menschen.

In seinem Buch „Der unbewusste Gott“ entwirft Frankl ein Bild vom Menschen, in dem der Bezug zum Transzendenten nicht notwendig bewusst sein muss. Er schreibt: „Gott ist der Partner unserer intimsten Selbstgespräche.“

Was meint er damit? Ist das Gespräch, das wir in innerster Einsamkeit mit uns selbst führen, mehr als ein Monolog? Kann es sein, dass sich im Dialog mit dem eigenen Inneren ein Gegenüber auftut – nicht als innerpsychische Instanz, sondern als eine Wirklichkeit, die mich übersteigt?

Frankl bewegt sich hier auf einem schmalen Grat. Er spricht von einer unbewussten Gottesbeziehung, ja, aber nicht als Behauptung eines verborgenen religiösen Wissens, sondern eher als einer spirituellen oder existentiellen Offenheit: Der Mensch trägt eine Fähigkeit in sich, auf etwas Absolutes hin bezogen zu sein. Diese Bezogenheit zeigt sich nicht im Bekenntnis, sondern in der Frage nach Sinn und im Horchen auf das Gewissen.

Das Gewissen ist für Frankl ein „Sinnorgan“, das uns nicht diktiert, was wir tun sollen, sondern anzeigt, wofür wir in einer konkreten Situation verantwortlich sind. Es ist für ihn nicht unsere Stimme, sondern eine, die zu uns spricht. Doch ob diese Stimme „Gott“ meint oder eine tiefe, personale Selbstverantwortung, bleibt offen.

Und darin liegt die Brückenmöglichkeit: Frankls Gedanken lassen sich theologisch wie säkular lesen. Die religiöse Lesart erkennt in der inneren Zwiesprache einen Ruf Gottes – verborgen, aber wirksam. Die säkulare Lesart spricht vielleicht lieber vom Ernstnehmen der eigenen Existenz.

So verstanden, lädt Frankl nicht zur Konversion ein, sondern zur Vertiefung. Sein Begriff der Selbsttranszendenz ermöglicht es, die Frage nach Transzendenz ernst zu nehmen, ohne sie vorschnell mit Glaubensgewissheit oder Weltanschauung zu beantworten. Wer sucht, muss nicht gleich glauben. Aber wer sucht, spürt vielleicht, dass es mehr gibt als das Ich.

So kann Frankl also als „Brückendenker“ verstanden werden, zwischen verschiedenen Sprachen, mit denen Menschen versuchen, das Eigentliche ihres Lebens zu deuten. Wer betet, spricht zu Gott. Wer sich selbst befragt, spricht vielleicht ins Offene. Und wer auf das Gewissen hört, vernimmt womöglich einen Ruf, der nicht aus dem Ich stammt – aber darin gehört wird.

Ob das „Ur-Du“, wie Martin Buber es nannte, mitgemeint ist, oder ob es sich nur um eine Tiefe des Selbst handelt, bleibt offen. Entscheidend ist: Es gibt in vielen Menschen den Wunsch nach Sinn, nach Gehaltensein, nach Antwort. Und dieses Verlangen verdient Respekt – gleich welche Sprache es findet.

MS und WD

 

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