Gemeinsame Metaphysik Querverbindungen 4

Metaphysik – brauchen wir nicht. Realitätsbezogene Naturwissenschaftler und auf ihr eigenes Geschäft konzentrierte (evangelische) Theologen sind sich da einig. Für die einen handelt es sich um Spekulationen wie: „Wie viele Engel passen auf eine Nadelspitze?“, die allenfalls als Freizeitbeschäftigung dienen können. Für die anderen geht es dabei um Gottesbeweise, die in einer philosophischen Logik geführt werden und mit Gottes Offenbarung in Jesus Christus nichts zu tun haben. Philosophie?, „Spekulatius“? – brauchen wir nicht.

In solcher Einigkeit haben Naturwissenschaftler und Theologen teil an einer gemeinsamen – Metaphysik. In ihr gelten die folgenden Annahmen: Materialität und Spiritualität werden sauber geschieden. Wer sich mit Formen der Materie befasst, kommt zu erschöpfenden Erklärungen, ohne Geist oder Gott zu benötigen. Wer christlichen Glauben in Worte zu fassen versucht, braucht dazu einen Bezug zur menschlichen Seele und zum menschlichen Deuten, zu Geistigem also, aber nicht zu Materie.

Beispiele für tatsächlich gemeinsame Metaphysik lassen sich in der Geschichte noch mehr erkennen – und bis heute alle nebeneinander finden. Im 17. Jh gehörte zu Gott die Ewigkeit. Gott war verlässlich als der Schöpfer von ewigen Ordnungen und Erhalter der Welt und des Menschenlebens. In der Physik wurden immer und überall gültige und dazuhin zeitreversible Gesetze entdeckt, wie die Welt funktioniert. Das bestätigte das Vertrauen in Gott als die Macht, die ewig ordnet und erhält.

Im 18. Jh wurde die Vorstellung von einer Richtung in allem Geschehen als Kette von Ursachen und Wirkungen Allgemeingut. Die Welt stellte man sich als vergleichbar mit einer mechanischen Maschine vor – und Gott als ihren Konstrukteur, der v.a. für den Aufbau zuständig war, seitdem verlaufe sie gesetzmäßig und damit vertrauenswürdig.

Beginnend im 18. Jh und dann im 19. Jh wurde das Bewusstsein von historischen Entwicklungen und jeweils besonderen Kontexten selbstverständlich. Theologen arbeiteten historisch-kritisch mit der Bibel. Darwin formulierte die Evolutionstheorie aus. In der Physik wurde die Thermodynamik ausgearbeitet. Gottes Wahrheiten und die ewig beständige Natur bekamen Geschichte. Kirchenleitungen bekämpften sowohl die historische Kritik als auch die Evolutionstheorie. Aber sie teilten die grundlegende Vorstellung insofern, als sie vertraten, dass Gottes Schöpfung die Anfänge gesetzt habe und sich der menschliche Sündenfall verursachend in die Geschichte ziehe. Seither wirke Gott erlösend (Zeit und Werk Jesu Christi) und versöhnend (Zeit und Werk des Heiligen Geistes).

Theologie und Naturwissenschaften entfremdeten sich seit der Renaissance zunehmend. Jeder Wissenschaftsbereich konzentrierte sich auf seine Wirklichkeit. Das war ohne logische und sachliche Probleme nur möglich auf dem Boden der in all diesen Entwicklungen gültigen und sich verstärkenden Metaphysik von einer materialen neben einer geistigen Wirklichkeit (auch Substanzontologie genannt).

Im 20. Jh kamen Substanzontologie und Kausaldenken zunehmend in Bewegung. Auch da lassen sich Ähnlichkeiten beobachten. Ich greife die Entdeckung von Ereignissen heraus. In der Physik wurde ereignishaftes Geschehen auf subatomarer Ebene anstelle von Teilchen zu Grundelementen der Wirklichkeit. Naturgesetze bezeichnen Rahmenbedingungen in einer von großer Freiheit (oder auch Kontingenz) geprägten Wirklichkeit. In der Offenbarungstheologie, die Gott als den ganz Anderen von der (materialen) Welt unterschieden halten will, erklären Theologen mit (Sprach-)Ereignis das Geschehen, in dem Gott sich mit Welt verbindet. Im unablässigen Prozess bleiben Materie und Geist nicht getrennt.

Und von Seiten der Wissenschaftsreflexion wie der systematischen Theologie nähert man sich wieder an Metaphysik an. Denn ob es nun um ein „Weltbild der Physik“ oder um die Wirklichkeit Gottes geht: ohne Vorstellungen von dem, was das Sein ist (Ontologie) und wie die Welt ein Ganzes sein kann (Kosmologie) kommen beide nicht aus. Diese Vorstellungen sind weder naturwissenschaftlich noch theologisch, sondern gehören einem menschlichen Denken und Reflektieren an, das klassischer Weise in der Philosophie erforscht und formuliert wird. Theologie und Naturwissenschaften müssen dazu beitragen können. Und wenn die Wirklichkeit, in der sie arbeiten, nicht auseinanderfallen soll, müssen beide zur gleichen Ontologie und Kosmologie beitragen.

I. M.

 

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