Geist und Körper: Anspruch des Dichters – Trost des Wissenschaftlers Fundstücke 7

Im Geiste der Aufklärung, beflügelt von der französischen Revolution und unter Bezug auf Lessing formulierte Friedrich Schiller zu Beginn seines Aufsatzes „Über das Erhabene“ (erschienen 1801) einen hohen Anspruch an die Kultur:

„Der Mensch ist das Wesen, welches will… Gegen alles, sagt das Sprichwort, gibt es Mittel, nur nicht gegen den Tod. Aber diese einzige Ausnahme, wenn sie das wirklich im strengsten Sinne ist, würde den ganzen Begriff des Menschen aufheben. Nimmermehr kann er das Wesen sein, welches will, wenn es auch nur einen Fall gibt, wo er schlechterdings muss, was er nicht will. Dieses einzige Schreckliche, was er nur muss und nicht will, wird wie ein Gespenst ihn begleiten und ihn, wie auch wirklich bei den meisten Menschen der Fall ist, den blinden Schrecknissen der Phantasie zur Beute überliefern; seine gerühmte Freiheit ist absolut nichts, wenn er auch nur in einem einzigen Punkte gebunden ist. Die Kultur soll den Menschen in Freiheit setzen und ihm dazu behilflich sein, seinen ganzen Begriff zu erfüllen. Sie soll ihn also fähig machen, seinen Willen zu behaupten, denn der Mensch ist das Wesen, welches will.”

Gut 220 Jahre später – inzwischen hat Schopenhauer erklärt, dass der Mensch nicht frei in der Wahl seines Wollens sei, dieser ist vielmehr eine Macht außerhalb des bewussten Zugriffs; Marx stellt den Idealismus vom Kopf auf die Füße und begründet seinen Materialismus: Das Sein bestimmt das Bewusstsein; und Nietzsche gibt die bürgerliche Moral der Lächerlichkeit preis – 220 Jahre später also, nach zwei Weltkriegen und 80 Jahren Konsumfortschritt ist Übergewicht weltweit ein verbreiteteres Problem als Hunger (den es freilich immer noch gibt). Möge der weitere Fortschritt die Probleme lösen, die der seitherige Fortschritt geschaffen hat. So setzt der Leiter der Adipositasambulanz der Universitätsmedizin Leipzig, Prof. Dr. Matthias Blüher seine Hoffnung in einem am 3. Oktober 2022 erschienen Interview mit der Zeitung Die Zeit Online auf neuartige Medikamente gegen Übergewicht. Doch den wartenden Lesern spendet er auch Trost:

Er berichtet von seiner Forschung und „es wurde klar, dass im Fettgewebe, aber auch im Magen- und Darmtrakt ein sehr fein kontrolliertes System aus Hormonen existiert, das darüber bestimmt, wann wir Appetit haben, wann wir Hunger haben, wann wir satt sind und wann wir den Bewegungsdrang runterfahren. Die Entdeckung, dass Hormone eine so große Rolle spielen, war übrigens auch deswegen wichtig, weil sie stark übergewichtigen Patienten das Stigma, die Schuld nimmt. Betroffene fühlen sich oft schlecht und schuldig wegen ihres Übergewichts. Dabei sind viele Menschen nur die Opfer dieser hormonellen Mechanismen…“

Also nicht schuldig, nur Opfer gewisser körperlicher Aspekte ihrer selbst. Ist das die letzte Antwort? Der Interviewer begehrt auf – oder höre ich schon Resignation? „Wenn Hunger und Sättigung von Hormonen gesteuert werden, kann man dann überhaupt durch Sport und gesünderes Essen abnehmen?“ Die Antwort des Professors: „Mit vermehrter körperlicher Aktivität und vor allem aber mit kalorienärmerer Kost kann man im Mittel zwischen drei und fünf Kilogramm abnehmen. Das ist eine Menge, die Menschen realistisch schaffen können“. Aber es werden, wie gesagt, neue, vielversprechende Medikamente entwickelt.

Die Zitate präsentieren den Körper-Geist-Dualismus im Extrem. Aber tatsächlich bilden wir durch unser Sein unseren Körper (auch den Hormonhaushalt) und werden in der Persönlichkeit durch unser körperliches Ich (mit-)bestimmt. Und auch diese Wechselbeziehung steckt noch im Dualismus. Lassen sich Körper und Geist gegeneinander ausspielen? Oder sind wir nicht vielmehr eine Einheit? Wir freuen uns über jeden Kommentar.

W. D.

 

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