Desillusionierende Wissenschaft Fundstück 8

Oft befreit uns die Naturwissenschaft von Täuschungen, z.B. von optischen. Schließlich ist die Erde keine Scheibe und die Wärmestrahlung meiner Heizlampe sehe ich nicht, spüre sie aber auf der Haut. Aber manchmal gibt es keine Erklärung und man hat den Eindruck, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Das ist heilsam, denn mit jeder Enttäuschung verlieren wir die Illusion alles zu wissen. Wir dachten, wir wüssten, aber es war falsch. Natürlich ist es unheimlich, wenn so der Boden unter den Füßen weggezogen wird und wir wünschen uns neue Erklärungen. Diese sind freilich nicht hilfreich, wenn es sich um aus dem Hut gezauberte, unverständliche Spekulationen handelt.

Als Beispiel für eine gleich dreifache Desillusionierung unserer Erwartungen an die Wissenschaften dient mir die Forschung zu Nahtoderfahrungen (NTE), von der Pim van Lommel im Jahr 2007 berichtet („Endloses Bewusstsein: Neue medizinische Fakten zur Nahtoderfahrung“). Hier ziehe ich folgende Sätze als Fundstück heraus: „Die Frage, wieso sich [einige] Patienten, die einen Herzstillstand erlitten hatten, an die Zeit ihrer Bewusstlosigkeit erinnern konnten, blieb leider unbeantwortet. Denn nach allgemeiner wissenschaftlicher Auffassung kann es in dieser Phase überhaupt kein Bewusstsein geben.“ (S. 164) Jedenfalls kann es in diesem Zustand kein Bewusstsein geben, das vom Gehirn erzeugt werden könnte.

Erste Illusionsauflösung: Ein solcher Befund widerspricht der Grundannahme, dass es nichts ohne materielle Ursache geben kann. Der Satz  “von nichts (Materiellem) kommt nichts” ist eine Illusion. Aber was soll das sein, ein Bewusstsein, das sich aus einem klinisch herz- und hirntoten Körper löst, das Geschehen beobachtet und sich nach der Reanimation auch noch daran erinnern kann? Das verlässt den konservativen Verständnisrahmen und viele Menschen wollen nicht akzeptieren, dass es solche Phänomene geben kann.

Zweite Illusionsauflösung: Ein progressives Wissenschaftsverständnis akzeptiert zum ersten vorurteilsfrei auch Phänomene, die das seitherige Verständnis in Frage stellen. Freilich erfordert eine solche wissenschaftliche Revolution, insbesondere wenn sie an Grundannahmen heranreicht, sorgfältige und die neuen Ergebnisse objektiv bestätigende Überprüfungen. Das schließt auch Erlebnisberichte ein, die methodisch gesammelt werden. Zum zweiten wäre zu erklären, wie es zu solchen Phänomenen kommen kann. Zeugnisse von Menschen über Sachverhalte, die sie nicht wissen konnten, lässt die Wissenschaft derzeit hilflos dastehen. Wir müssen die Illusion aufgeben, dass die heutige Naturwissenschaft bereits alle Phänomene des täglichen Lebens erklären kann.

Dritte Illusionsauflösung: Einerseits zeigt sich, dass die Einzelphänomene, an die sich ein Mensch mit einer NTE erinnern kann, von keinen personenbezogenen Faktoren abhängig sind (Persönlichkeit, Religion, Medikation, Geschlecht…). Sie sind also in diesem Sinne objektiv wie ein Baum in der Landschaft, nur dass an ihm nicht gemessen werden kann, weil das Gehirn inaktiv ist – und wo sonst wollte man messen? Andererseits haben nur ca. 15-18 % der reanimierten Personen eines oder mehrere der Einzelphänomene einer NTE erlebt. Sie durchlaufen in den Folgejahren Veränderungen, die sich signifikant von den Veränderungen der mehrheitlichen Kontrollgruppe (82-85 %) unterscheiden, die ebenfalls reanimiert wurden, aber dabei keine Elemente einer NTE erlebten. Gerne stellen wir uns vor, dass die Welt, in der wir leben, für alle gleich sei: Objektivierbare Erfahrungen anderer – solche die nicht rein subjektiv sind wie Halluzinationen oder Träume – könnte ich ebenfalls machen. Für besonders bedeutsame Erlebnisse scheint das eine Illusion zu sein.

Fazit: Wissenschaft bedeutet Weiterfragen, sagte C. F. von Weizsäcker. Jetzt muss die Wissenschaft  herausfinden, wie Bewusstsein (allgemeiner: Informationen) ohne materiellen Träger existieren kann, ob es also ein materieloses, raumloses, gar zeitloses Wissen gibt. Und es stellt sich die Aufgabe zu verstehen, warum einige Menschen manchmal Zugang zu solchem Wissen haben, die meisten aber nicht und warum es in der Lage ist, die betroffenen Menschen tiefgreifend zu verändern.

W.D.

 

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