Das gibt’s doch gar nicht! Oder: Gott ist kein Gespenst Impuls 16

„Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.“ Als mir dieser Satz von Dietrich Bonhoeffer vor Jahren zum ersten Mal begegnete, dachte ich: „Ja, genau!“ Denn dass Gott ein Ding sei unter anderen Dingen, wie z.B. ein König auch nur ein Mensch neben anderen Menschen ist, das hat mich schon in vielen Diskussionen gestört. Inzwischen habe ich den Bonhoeffer-Satz oft gehört. Er scheint zu einem Erkennungssatz für Gläubige geworden zu sein, die aufgeklärt genug sind, nicht an Gott als ein Etwas oder Jemand zu glauben. Doch muss man nicht die Vernunft an den Nagel gehängt haben, wenn man meint, es gäbe etwas, das es nicht gibt?

Ich verstehe Bonhoeffers Satz als eine Provokation, einen Anstoß, aus eingefahrenen Denk-Gleisen heraus zu springen. Jemand im Denk-Gleis eines Realisten sagt z.B.: „Ich glaube nur, was ich sehe.“ Die Naturwissenschaften bedienen sich ausgefeilter Methoden, genau hinzusehen und herauszufinden, was es alles gibt und wie es mit anderen Dingen zusammenhängt, vom ganz Großen bis zum winzig Kleinen. Und in dieses Projekt hinein kann ich provozierend fragen: „Stelle Dir etwas vor, das es nicht gibt. Und jetzt frage Dich: In welcher Weise gibt es das doch?“

Hier ein paar Wörter, die mir spontan dazu einfallen: Cäsar, Anna Karenina, Harry Potter, Zeitmaschine, quadratische Kuppel, die Farbe Rot, Bedeutung, ein Gespenst, mich selbst, Dich, die Zukunft.

Wir können ein Spiel daraus machen: „Ich denk‘ mir was, das gibt es nicht und das ist … Harry Potter.“ – „Warum gibt es ihn nicht?“ – „Er ist eine Romanfigur. Darüber hinaus kann er zaubern. Er und seine ganze Welt ist also nicht einmal möglich.“ – „Und in welcher Weise gibt es ihn doch?“ – „Er ist die Hauptfigur der Saga von J.K. Rowling. Millionen haben die Bücher gelesen und die Filme angesehen. Viel Geld wurde dabei umgesetzt, viele Menschen haben dafür gearbeitet. Menschen reden und diskutieren darüber, Kinder verkleiden sich als Harry Potter zu Fastnacht…“

Spielen Sie dieses Spiel! Es geht allein, zu zweit oder in einer Runde. Denken Sie sich geeignete Regeln aus. Sie werden staunen, auf wie viele verschiedene Arten es etwas nicht und dann doch geben kann. Wir können in den Kommentaren Beispiele sammeln.

Wenn wir uns dann ein Gefühl dafür verschafft haben, was so alles in unserem Leben eine Rolle spielt, obwohl es das gar nicht gibt, können wir sie vergleichen: Cäsar gibt es nur in der Erinnerung überlieferter Beschreibungen, an Anna Karenina wurden bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse ihrer Zeit deutlich – und so veränderbar. Zeitmaschinen sind physikalisch, quadratische Kreise mathematisch unmöglich. Farben an sich sind Abstraktionen, Bedeutungen sind Zuschreibungen. Gespenster lassen uns vor Angst erstarren als wären sie auf unheimliche Weise da und doch kann man sie nicht unter dem Bett hervorziehen oder aus dem Schrank holen – sie sind Einbildungen, aber die machen etwas mit uns. Apropos uns, also dich und mich: Ist je jemand mit der Frage: „Wer bin ich?“ fertig geworden? Besser ist es, wenn ich mich um dich kümmere, statt um mich selbst zu kreisen. Und schließlich die Zukunft: Es gibt sie nicht – aber sie kommt. So oder so. Wie? Das hängt zum großen Teil von unseren Vorstellungen von den Dingen ab, von denen die es gibt und von denen, die es nicht gibt. Aber so scharf – das haben wir gelernt – lässt sich das gar nicht unterscheiden.

Und Gott? Gott gibt es nicht einmal als Vorstellung. Ich kann weder sagen, was er ist, noch was er nicht ist. Für mein Spiel ist er ein Spielverderber. Es gibt ihn auf gar keine Weise. Und doch verweist das Wort darauf, dass dies nicht für alles andere gilt, was es auf diese oder jene Weise gibt oder nicht gibt. Denn dass es etwas gibt und nicht vielmehr nichts, das ist, so selbstverständlich wie es uns erscheint, ein unbegreifliches Wunder.

W.D.

 

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