Brauchen wir ein Weltbild? Impuls 11

Aber irgendwie haben wir doch so etwas, wie ein Weltbild, möchte man meinen. Es stellt sich sogleich – zumindest vage – eine Vorstellung vom Universum ein, sobald dieses Stichwort genannt oder gedacht wird: Vorstellungen von Galaxien und Sternhaufen, vom Weltraum und seinen unendlichen Weiten, von der Relativität von Raum und Zeit, aber auch vom Kleinsten, von Atomen und Atomkernen, Elementarteilchen, ja von der seltsamen Welt der Quanten, die sich an keine gewohnte Ordnung und Regelhaftigkeit halten, die aber technisch schon tief in unseren Alltag hineinwirken in Form von Handys, Computertechnik, von neuen Möglichkeiten in der digitalen Welt. Die Wissenschaft rückt dem Geheimnis des Lebens, des Denkens und unseres Gehirns immer näher, so scheint es. Gibt es noch Geheimnisse, die uns Ehrfurcht abnötigen von der Größe und Macht von Leben und den Gesetzen in der Natur? Und die Größe, die man traditionell „Gott“, nennt und die bis heute vorzugsweise in der Welt der Religionen von grundlegender Bedeutung ist – ist sie überhaupt noch denkbar?

In unserem mitteleuropäischen Kulturraum schwindet der religiöse Bereich traditionellen Christentums rasch dahin. Und die großen Weisen unserer Zeit und unserer Region, denen man am ehesten ein zuverlässiges Wissen über das Ganze der Welt zutraut, scheinen diesen Schwund des transzendenten Umgriffenseins allen Lebens zu bestätigen, oder gar zu befördern. So stellt Stephen Hawking, weltberühmter Astrophysiker und Verfasser des Bestsellers: „Eine kurze Geschichte der Zeit“, fest: „Da die Menschen nun einmal in dieser riesigen, mal gütigen, mal grausamen Welt leben und in den unermesslichen Himmel über ihnen blicken, stellen sich von jeher eine Fülle von Fragen. Wie können wir die Welt verstehen, in der wir leben? Wie verhält sich das Universum? Was ist das Wesen der Wirklichkeit? Woher kommt das alles? Braucht das Universum einen Schöpfer? …“Der Physiker weiß es, selbstbewusst schreibt er: „Traditionell sind das Fragen für die Philosophie, doch die Philosophie ist tot. Sie hat mit den neueren Entwicklungen in der Naturwissenschaft, vor allem in der Physik, nicht Schritt gehalten. Jetzt sind es die Naturwissenschaftler, die mit ihren Entdeckungen die Suche nach Erkenntnis voranbringen.”

Da ist es offenbar, das sog. moderne Weltbild: Es sind die Naturwissenschaftler, heißt es da, die unsere grundlegenden Erkenntnisse und Fragen über unser Menschsein, über Sinn und Ziel unseres Daseins, über den Sinn dieser Welt, ja über Frieden und Gerechtigkeit als der großen Sehnsucht der Menschheit seit Jahrhunderten Klarheit und verlässliche Auskunft geben können! Da erhebt sich der Anspruch von so etwas wie Unfehlbarkeit, nun nicht mehr als kirchliche Anmaßung, vielmehr als Autorität der Wissenschaft. Sie will letzter Maßstab sein!

Aber da bleibt ein Unbehagen – Unbehagen über den Zwang, der da spürbar wird, über Denkverbote und Wirklichkeitsverbote. Da werden ja die entscheidenden Fragen des Lebens, der Gesellschaft, der Umwelt und Gefährdung unseres Planeten an die Physik delegiert – doch das so auf physikalische Phänomene und das Wissen über sie reduzierte Weltwissen hat seine humane, auf den Menschen und sein verantwortliches Handeln bezogenes Fragen und Forschen verloren, bzw. hat dieses überhaupt nicht mehr im Blick.

Was für ein Wahrnehmungs- und Denkgefängnis! Ein Zwangskorsett, gegen das wir uns als liberale Protestanten wehren müssen. In Kunst, Literatur und Religion geschieht dies auf vielerlei Weise, auch in einer selbstkritischen, rationalen Philosophie – Gott sei Dank! Kants klassisch gewordene vier Fragen sind dafür ein Musterbeispiel – sie sind zeitlos gültig und von keiner Physik zu beantworten:

  • Was kann ich wissen?
  • Was soll ich tun?
  • Was darf ich hoffen?
  • Was ist der Mensch?

Die Fragen bleiben – solange uns solche Fragen bewegen, unabweisbar, bleiben wir menschlich.

H.B.

 

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