1001 Nacht und das Problem des assistierten Suizid Querverbindungen 1

Jeder kennt zumindest einige der Geschichten aus „1001 Nacht“ – Sindbad der Seefahrer, Ali Baba, der den 40 Räubern den Spruch „Sesam öffne dich“ ablauscht und so deren Schätze findet. Doch ist auch jedem klar, wer hier wem und warum diese Geschichten erzählt? „Die Protagonistin Scheherazade beginnt, dem König Geschichten zu erzählen, um eine Hinrichtung zu verzögern; am Ende der Nacht ist sie an einer so spannenden Stelle angelangt, dass der König unbedingt die Fortsetzung hören will und die Hinrichtung aufschiebt. In der folgenden Nacht geht es so weiter. Die längst überfällige Hinrichtung findet schließlich nicht mehr statt.“ (Wikipedia)

Am 26. Februar 2020 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verfassungswidrig ist. In der entsprechenden Pressemitteilung heißt es zur Begründung: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht … umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Die in Wahrnehmung dieses Rechts getroffene Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.“ Eine entsprechende Entscheidung des Einzelnen über seinen Tod ist Ausdruck der Souveränität über sein Leben.

Üblicherweise denkt man an unheilbare Krankheit zusammen mit unerträglichen, auch palliativ nicht behandelbaren Schmerzen. Ferdinand von Schirach beleuchtet in seinem Theaterstück „Gott“ in einer fiktiven Sitzung einer Ethikkommission den Fall eines Mannes, Herrn Gärtner, der ohne solch physische Not seiner Frau in den Tod folgen möchte. Juristen, Ärzte und ein Theologe legen in geschliffenen Monologen und Dialogen mit den Anwälten ihre Argumente dar. Am Ende ist es dem Zuschauer überlassen zu entscheiden: Darf er oder darf er nicht? Eine „objektiv“ richtige Antwort, so wird klar, gibt es nicht.

Drei Wissenschaften, Medizin, Jura und Theologie werden zu einem ethischen Dilemma befragt. Doch alle drei kommen an Punkte, wo sie aus sich selbst nicht weiterwissen. Bildlich gesprochen schauen die Wissenschaften auf den Menschen zurück, der sie betreibt, und verlangen eine Entscheidung, die sie aus sich nicht ableiten können, die aber Voraussetzung für ihre weitere Arbeit ist. So sieht Jura anders aus, je nachdem, von welcher Verfassung sie ausgeht. Physiologie und Pathologie des Menschen kann mit oder ohne hippokratischem Eid erforscht und behandelt werden. Und auch in der Theologie ist das Verhältnis zwischen Gottes Liebe und Geboten und menschlicher Freiheit und Autonomie ein Ausgangspunkt, kein Ergebnis der Arbeit.

Die Entscheidung, um die es geht, ist Glaubenssache. Wer die Entscheidungshoheit hat, gerade wenn es um Leben und Tod geht, ist der Souverän, sei es Gott, ein Monarch, der Staat oder jeder Mensch selber. Er oder sie steht über dem Gesetz, über aller Ethik und entscheidet, welches Gesetz, welche Ethik zur Anwendung kommt. In den Erzählungen von 1001 Nacht ist das der König. Doch die Entscheidung ist nicht unabhängig von der sich entwickelnden Beziehung zu Scheherazade. In der Frage nach dem eigenen Tod, so hat es das Bundesverfassungsgericht entschieden, ist jeder sein eigener Souverän. Nach dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter, mit dem Jesus das Doppelgebot der Liebe erläutert, fragt er: Wer war dem, der unter die Räuber gefallen war, der Nächste geworden? Und so scheint mir die eigentliche Frage, der sich Mediziner, Juristen, Theologen, die Mitglieder der Ethikkommission und jeder Zuschauer in Schirachs Stück stellen müssen, zu sein: Wer bringt Herrn Gärtners Seele dazu, zu seiner Scheherazade zu werden?

Diese Frage findet sich in einem wunderbaren Roman von Fredrik Backman entwickelt mit dem Titel „Ein Mann namens Ove“, das ich hiermit dem interessierten Leser wärmstens empfehle.

WD

 

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1 Gedanke zu „<span class="entry-title-primary">1001 Nacht und das Problem des assistierten Suizid</span> <span class="entry-subtitle">Querverbindungen 1</span>“

  1. … Scheherazade will ihre EIGENE Hinrichtung verzögern durch ihre Erzählungen, da der Sultan jede seiner Frauen am nächsten Morgen getötet hatte bisher.
    Von daher kann auch nur jeder einzelne Mensch für sich Tricks, Wege, Erzählungen, Gründe finden, um sich von dem Bewusstsein, dass er irgendwann sterben muss, abzulenken. Für die meisten läuft das darauf hinaus, ihr Sterbenmüssen um jeden Preis herauszuzögern. Es in die Hand Gottes zu legen ist auch nicht unbedingt ein Zeichen der aktiven Auseinandersetzung mit dieser Grundtatsache. Wäre es nicht viel spiritueller und reifer, wirklich diesen Weg aktiv zu gehen und zu gestalten? Sicherzustellen, dass man alles erledigt und getan hat, was einem noch wichtig war, weil der Termin feststeht und einen nicht irgendwann wegen Aufschieberitis unvorbereitet überrascht?

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