Matthias Haudel: Theologie und Naturwissenschaft Zur Überwindung von Vorurteilen und zu ganzheitlicher Wirklichkeitserkenntnis

Hintergrund von Matthias Haudels kenntnisreichem Studier-Buch zur Notwendigkeit und zum Stand des Dialogs zwischen Naturwissenschaft und Theologie ist die aus der Balance geratene, vom Menschen mit seinen naturwissenschaftlich dominierten Machbarkeiten umgestaltete Welt. Dabei hat sich die Theologie im 19. Jh. auf ihre vermeintlich eigentlichen Themen wie das religiöse und sittliche Bewusstsein zurückgezogen. Doch als Anfang des 20. Jh. das naturwissenschaftliche Weltbild aus sich heraus durch die Entwicklung von u.a. der Quantentheorie revolutioniert und überraschend unanschaulich wurde, stellte sich erneut die Frage nach der einen, umfassenden Wirklichkeit.

Im Dialog geht es nun um eine Neuausrichtung, von welcher Seite welcher Beitrag zum angemessenen Verständnis dieser einen Wirklichkeit erwartet werden kann. Die Grundhaltung des Buches ist: Mehr Bescheidenheit in Bezug auf die Erklärungsmacht naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Und mehr Relevanz den theologischen Einsichten für die Deutung der einen Wirklichkeit. Diese nimmt die Theologie – im Unterschied zur Naturwissenschaft – als Ganze in den Blick, erahnt dabei Gott zunächst nur aus der erkennbaren Selbsttranszendenz von Kosmos und Mensch und gewinnt durch Gottes Selbsterschließung in Christus Gewissheit. Diese Gewissheit ist freilich nicht von der Art eines immer nur vorläufigen Bescheidwissens, wie es die Naturwissenschaften erarbeiten, sondern »wird zum daseinsbestimmenden Vertrauen, wenn sich der Mensch im Glauben existenziell darauf einlässt« (S. 104).

Wer sich auf dieses gut strukturierte Buch einlässt, unternimmt eine Bildungsreise mit mühevollen Anstiegen und Lohnenden Ausblicken.

Vandenhoeck & Ruprecht / utb 2021, 486 Seiten, kartoniert, 24,90 EUR, eBook 19,99 EUR

W. D.

 

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2 Gedanken zu „<span class="entry-title-primary">Matthias Haudel: Theologie und Naturwissenschaft</span> <span class="entry-subtitle">Zur Überwindung von Vorurteilen und zu ganzheitlicher Wirklichkeitserkenntnis</span>“

  1. Herzlichen Dank für die interessante Rezension.
    Zum Verständnis der einen Wirklichkeit wird eine Zusammenschau der „Erklärungsmacht naturwissenschaftlicher Erkenntnisse“ mit den „theologischen Einsichten” angestrebt.
    Theologie gewinnt „durch Gottes Selbsterschließung in Christus Gewissheit“, welche zum „daseinsbestimmenden Vertrauen wird, wenn sich der Mensch im Glauben existenziell darauf einlässt” (S. 104).
    Der theologische Ansatz “Gottes Selbsterschließung in Christus” ist nicht zwingend für christliche Theologie.
    Auch glauben geschätzte 70% der Weltbevölkerung nicht an „Gottes Selbsterschließung in Christus“.
    Der Autor des Buches hätte im Buchtitel klarer aufzeigen sollen, dass es sich um einen bestimmten christlichen Ansatz handelt.

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    • Vielen Dank für den Kommentar, Desdemona M.S. Viele Aspekte sind angesprochen, drei will ich aufgreifen:

      Ich finde nicht verwunderlich, dass ein Theologe vor allem die eigenen theologischen Einsichten als christlichen Ansatz vor Augen hat. Dass diese nicht ganz beliebig sind, wird dadurch belegt, dass er als erster evangelischer Theologe zum zweiten Mal den Theologie- und Ökumenepreis der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg bekam. Einmal für seine Dissertation “Die Bibel und die Einheit der Kirchen” und für sein Werk “Die Selbsterschließung des dreieinigen Gottes”. Da es diese Theologie ist, von der aus er die Dialogmöglichkeiten mit den Naturwissenschaften beleuchtet, kann diese Würdigung auch für dieses Buch in Anspruch genommen werden, meine ich.

      Wichtiger, aber schwieriger zu greifen, ist mir aber ein anderer Punkt: Ich fände es großartig, wenn die Arbeit Haudels Theologen mit anderen theologischen Ansätzen anregen würde, aus ihrer Sicht den Dialog mit Naturwissenschaftlern zu suchen und darin die Relevanz ihrer Theologie aufzuzeigen. Meines Wissens finden solche Gespräche auch im Islam und Buddhismus statt – es geht also nicht nur um die Feinheiten christlicher Theologie-Ansätze. Die Bücher, die mir in diese Richtung inzwischen begegnet sind, weisen allerdings sehr unterschiedliche Qualität auf. So scheint mir oft der Wunsch Vater des Gedankens zu sein, mit klar erkennbarer zirkulärer Argumentation (z.B. der Art: “Der Glaube ist relevant, weil der Glaube relevant ist und als Beweis bestaune ich die Wunder der Naturwissenschaften als intelligentes Design.”) Auch scheint mir nicht jeder Theologe zuzustimmen, dass wir es “nur” mit einer Wirklichkeit zu tun haben. Da bleiben dann die Wirklichkeit des Theologen und die der Naturwissenschaft getrennt.

      Schließlich meine ich, dass die Erkenntnisformen der Offenbarung und der objektivierenden Beobachtung natürlicher Phänomene oder experimenteller Aufbauten sozusagen einen maximalen Abstand voneinander haben. Wenn also Haudel diese beiden Vorgehensweisen in Dialog miteinander bringt, sollte sich – wenn es gelingt – ein größtmöglicher Erkenntnisraum für jene (eine) Wirklichkeit ergeben, um die es im Erkenntnisbemühen geht.

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