Der Arbeitskreis “Kirchen öffnen und erhalten” setzte sich seit 2006 für die erweiterte Nutzung von Kirchen ein und machte es sich zur Aufgabe, die kirchliche und gesellschaftliche Öffentlichkeit für die Problematik zu sensibilisieren. Im Jahr 2015 hat er seine Tätigkeit mit einer Tagung und zwei Publikationen abgeschlossen.
Was tun mit Kirchen, die nicht mehr gebraucht werden?
In Deutschland gibt es rund 45.000 Kirchen, davon ca. 22.000 in den evangelischen Landeskirchen. Die für den Zeitraum zwischen 1980 und 2030 vorausgesagte Halbierung der Kirchenmitgliedschaft und der Rückgang der Kirchensteuer in der EKD um 60 % bedrohen die Existenz einiger tausend Kirchengebäude. Viele Kirchengemeinden standen bereits oder stehen demnächst vor der Frage: Was sollen wir mit unserem Gebäudebestand machen, der zu groß und finanziell nicht mehr zu halten ist?
Diese Entwicklung war absehbar. Die beiden großen Kirchen in Deutschland sind schrumpfende Kirchen. Folglich müsste auch die Zahl der Kirchengebäude zurückgehen. Doch wie viele Kirchen braucht unsere Gesellschaft? Für wen sollen sie geöffnet und wozu erhalten werden?
Kirchengebäude haben einen mehrfachen Wert
Die Entscheidung, eine Kirche zu schließen, abzureißen oder vollständig anders zu nutzen, darf nicht vorschnell getroffen werden. Kirchen sind Symbole der Gegenwart Gottes und Zeichen geschichtlicher und persönlicher Identität. Individuelle und kreative Ansätze sind gefordert. Sie haben einen mehrfachen Wert:
Funktionswert
Alois Peitz, früherer Baudirektor der Diözese Trier, stellt über den Funktionswert von Kirchenräumen nüchtern fest: „Hallenartige Bauten und Räume eignen sich für hallengebundene Nutzungen: der Kirchenraum z.B. als Ratssaal, als Museum, als Werkhalle oder Lager.“
Identitätswert
Kirchen haben einen Identitätswert, und zwar für den einzelnen Menschen und für die Gemeinschaft. Im Blick auf den Einzelnen ist der biographische Bezug (wo bin ich getauft, konfirmiert, getraut worden) entscheidend.
Symbolwert
Der Wert, den die christlichen Kirchen einem Kirchengebäude und dem Kirchenraum theologisch beimessen, lässt sich als Symbolwert einer Kirche bezeichnen – im Sinne der Etymologie des griechischen Wortes „symbállein“: Er bezeichnet das „Zusammengefügte“, den Punkt, an dem Eins und ein Anderes – Gott und die Welt – zusammenkommen. In einer weltlicher werdenden Welt sind Kirchen Zeichen der Transzendenz.
Erweiterte Nutzung von Kirchen
Bei einer erweiterten Nutzung bleibt die Kirche Ort des Gottesdienstes. Die Öffnung des Kirchenraumes für die Bürgerschaft widerspricht nicht dem kirchlichen Auftrag. Im Gegenteil: Der Auftrag der Kirche fordert und begründet eine sich öffnende Kirche. Eine erweiterte Nutzung von Kirchengebäuden bietet auch die Chance, Kirchengemeinden „inhaltlich“ zu öffnen. Lösungen dafür können sich nur aus dem Gesamtkonzept der Gemeinde und den Erwartungen der Menschen im Umfeld einer Kirche ergeben. Intensive und oft auch kontrovers geführte Diskussionen zwischen allen Beteiligten sind erforderlich.
Es gibt zahlreiche Initiativen, die sich der Erhaltung einzelner Kirchengebäude widmen. In vielen Fördervereinen und Stiftungen sind nicht nur Kirchgemeinden, sondern auch zivilgesellschaftliche Gruppen aktiv. Zugleich zeigt sich, dass kirchliche Gremien das Problem nur zögerlich angehen. Hinsichtlich der doch unausweichlichen Bearbeitung sehen sich die Beteiligten mit unterschiedlichsten, letztlich aber auch immer wieder ähnlichen Schwierigkeiten konfrontiert.
Angesichts dieser Situation hatte die Evangelische Akademikerschaft in Deutschland (EAiD) 2007 auf Bundesebene einen Arbeitskreis „Kirchen öffnen und erhalten“ gegründet. Er setzte sich für die erweiterte Nutzung von Kirchen ein. Mit seinen ehrenamtlich tätigen Fachleuten aus Theologie, Soziologie und Bauwesen förderte der Arbeitskreis eine theologisch und architektonisch fundierte Auseinandersetzung mit diesem sensiblen Thema.
Öffnung von Kirchen in doppelter Hinsicht
In der Beratung von Kirchengemeinden versuchten die Mitglieder des Arbeitskreises, den Leitungsgremien die Anwendung dieser Kriterien in zweierlei Richtungen zu vermitteln: Die erste besteht darin, dass die Kirche geöffnet wird für die vielfältigen Aktivitäten der Kirchengemeinde. Damit kann ein Gemeindehaus eingespart werden. Die zweite Richtung ist die Öffnung für gesellschaftliche Nutzungen mit kommunalen oder zivilgesellschaftlichen Partnern und die Möglichkeiten der finanziellen Beteiligung. Die gesellschaftsbezogene Öffnung lohnt sich aber nicht nur finanziell, sondern trägt dazu bei, dass eine Kirche ihren traditionellen Stellenwert für die Menschen eines Dorfes oder einer Stadt zurückgewinnt.
Der Arbeitskreis war sich darüber im Klaren, dass bei der großen Anzahl an Kirchen auch Umnutzung und Abriss nicht auszuschließen sind. Demgegenüber plädierte er mit Nachdruck dafür, zunächst alle Möglichkeiten einer Nutzungserweiterung auszuloten und zeigte positive Möglichkeiten einer erweiterten Nutzung auf.
Veranstaltungen und Publikationen des Arbeitskreises
Außer den vielen Ausstellungen in Nordrhein-Westfalen und Hessen fand in Münster ein Kolloquium zum Thema „Neuer Geist in alten Kirchen“ statt. Bundesweites Interesse fand der Evang. Hochschuldialog in Weimar. Die Ergebnisse dieses Kongresses wurden veröffentlicht im Band „Erweiterte Nutzung von Kirchen – Modell mit Zukunft“. Eine dritte Veröffentlichung erschien mit dem Arbeitsheft „Erweiterte Nutzung von Kirchen – Konzeption und Wirtschaftlichkeit“. Der Architekt und Wirtschaftsingenieur Joachim Gallhoff (Vorsitzender des Arbeitskreises) klärt in diesem Heft Fragen der Wirtschaftlichkeit von erweitert genutzten Kirchen.
Einzelprojekte
U.a.begleitet der Arbeitskreis den Umwandlungsprozess von drei Kirchen im Ruhrgebiet, deren Nutzungserweiterung jeweils ein ganz unterschiedliches Profil hat:
Christuskirche Gelsenkirchen-Bismarck
Vor einigen Jahren empfahl der Kirchenkreis Gelsenkirchen im Rahmen einer Visitation der Evang. Kirchengemeinde Bismarck, die neugotische Christuskirche aus dem Jahr 1901 aufzugeben. Die Bismarcker kämpften für den Erhalt und gründeten einen Förderverein. Nach Umbauplanungen wurde das Seitenschiff mit einer Glaswand vom Hauptraum abgetrennt, im Eingangsbereich entstanden zwei Gruppenräume. Außerdem wurde ein separates Toilettenhäuschen angebaut. Wer heute die Christuskirche in Gelsenkirchen-Bismarck besucht, der betritt ein Gotteshaus, das der Evang. Kirchengemeinde auch als vielfältig nutzbares Gemeindezentrum dient.
Kreuzeskirche Essen
Die Kreuzeskirche im Norden der Essener Innenstadt – 1896 eingeweiht, 1943 zerstört, 1949–53 wiederaufgebaut, 1987 unter Denkmalschutz gestellt – ist schon seit über zwanzig Jahren auf dem Weg zu einer erweiterten Nutzung. Konzeptionell war zunächst daran gedacht, die Kirche zu einem von Stadt, Universität und Kirche genutzten Forum zu machen. 1996 wurde der Verein „Forum Kreuzeskirche e.V.“ gegründet, der vor allem die bedeutende Konzerttätigkeit der ansässigen „Essener Kantorei“ fördert. Im Jahr 2013 entschloss sich das Presbyterium, die Kirche an einen Essener Bauunternehmer zu verkaufen. Künftig soll das Kirchengebäude gleichberechtigt und einvernehmlich von der Kirchengemeinde, dem Forum Kreuzeskirche und einem Kreativ- und Veranstaltungszentrum genutzt werden. Die Ideen, die der Kreativunternehmer mit der Kirche verbindet, beschreibt er vorläufig so: „… ‚zu Gast bei Kirche‘ …: Jede(r) darf die Kirche auf freundliche Art nutzen, die Kirche wird ein vollwertiger Teil der Gesellschaft. Hass und Gegeneinander sind nicht erlaubt, doch selbst bisher Unmögliches ist hier herzlich willkommen.“
Friedenskirche Bochum-Stahlhausen
Stahlhausen ist ein Teil der Bochumer Weststadt und gekennzeichnet durch einen hohen Anteil ausländischer Einwohner. Im Rahmen des kommunalen Projekts Stadtumbau West wird die Friedenskirche zum Stadtteilzentrum Westend erweitert, großzügig gefördert durch Landesmittel. Der Schwerpunkt soll die interkulturelle und interreligiöse Arbeit sein. Der Gemeindepfarrer hat als Partner die „IFAK e.V.“ gewählt, den größten Anbieter von interkultureller Bildungs- und Sozialarbeit in Bochum. Kirchengemeinde und Migrantenorganisation bringen ihre jeweiligen Gruppen und Angebote in das Stadtteil-Begegnungszentrum ein. Die Kirchengemeinde hat sich entschieden, für die Gottesdienste einen eigenen Kirchraum zu erhalten. Ein großer Gemeinschaftsraum wird simultan genutzt und in den neu geschaffenen Räumen entstehen neben einem Foyer mit Bewirtung unterschiedliche Gruppenräume und Büros.