Nachbericht: Reise in die Provence mit Margot Gilch Ein erstes Kennenlernen der Provence

„Die Provence habe ich mir als flaches Land vorgestellt – und jetzt fahren wir am ersten Tag gleich durch eine bergige Gegend!“ und kommen da an, wo wir für die Dauer unserer Reise wohnen werden – in Maussane-les Alpilles, an den „kleinen Alpen“. Das war nicht die letzte Überraschung, die Reise sollte voll von ihnen sein.

Namen wie Pont du Gard, Avignon, Aix und Arles, auch die Camargue waren uns natürlich bekannt, aber wieviel mehr die Provence zu bieten hat, sollten wir dann Tag für Tag „erfahren“.  Das beginnt mit den Spuren und Zeugnissen, die ihre Geschichte hinterlassen hat und die schon vor den Römern mit den Griechen beginnt. Es sind dann aber vor allem die Bauwerke der Römer, die, wenn man sie aus nächster Nähe sieht und in ihnen umhergeht, staunen lassen. In Arles lassen wir uns Zeit für den Gang durchs Amphitheater, (Les Arènes), dem größten Bauwerk aus der Römerzeit, bis zu 20 000 Zuschauer fanden in ihm Platz. Heute finden in ihm Stierkämpfe (unblutig, die provenzalische Art) und auch Konzerte statt. Ganz Mutige steigen auf die obersten Ränge mit Überblick auf Arles, aber auch von weiter unten ist man beeindruckt von Ausmaß und Form dieser architektonischen Meisterleistung. Nicht weniger beeindruckend ist das

Maison Carrée in Nîmes
Arena in Orange

Amphitheater von Nîmes, das, genauso wie in Arles, damals wie heute für den zweiten Teil von „Panem et circenses“ sorgt. Waren es früher Gladiatorenkämpfe und Wagenrennen, so sind es heute die Stierkämpfe und Konzerte. Das Theater in Orange dagegen wurde nur zu diesem Zweck erbaut, es ist UNESCO-Welterbestätte und zählt zu den besterhaltenen römischen Bauwerken Europas. Wie kundig man damals mit der Akustik umging, wurde uns eindrücklich demonstriert: bis zum letzten Rang, den einige erklommen hatten, war das unten gesprochene Wort hörbar! Die Bühnenwand ist fast original erhalten und wird gekrönt von einer Statue des Kaisers Augustus – der Kopf kann ausgetauscht werden – für den nächsten Kaiser!

Ein eindrucksvoller Beweis, dass die Römer auch für „panem“, in diesem Fall für das

Rolf Oberle, Pont du Gard

benötigte Wasser sorgten, ist der Pont du Gard, ein Aquädukt mit drei Arkaden-Ebenen über den Fluss Gardon und Teil einer gigantischen Wasserleitung, die die Einwohner von Nîmes mit Wasser versorgte.  Für uns heutige Besucher bietet dieses Bauwerk viele Möglichkeiten der Erkundung, über die Arkaden- Ebenen, dann der große Überblick, wenn man den Hang besteigt, oder der Blick hoch vom Fluss aus – in jeder Perspektive wird ein weiterer Aspekt dieser Ingenieursleistung erlebbar.

Es sind aber nicht nur die großen Namen, die Auskunft geben über die provenzalische Geschichte. Bei St. Rémy-de-Provence ist es die Ausgrabungsstätte Glanum. Sie wurde von einem keltisch-ligurischem Volksstamm gegründet und unterhielt dann Beziehungen zur griechischen Welt. Schließlich wurde die Stadt zur römischen Kolonie mit Spuren, teilweise durch Ausgrabungen wieder hergestellt, die sich auf einem Spaziergang durch die ganze Anlage erkunden lassen.

Mit den Zeugnissen der Antike ist der Reichtum an Sehenswürdigkeiten der Provence noch nicht gebührend gewürdigt. Im Mittelalter sind es – so das, was wir heute noch besichtigen können – vor allem Kirchen und Klöster, die Zeugnis ablegen von den Wechselfällen der Geschichte, der kirchlichen wie der politischen. Oft erleben sie vielgestaltige Umwandlungen, romanisches und gotisches Erbe finden sich oft an gleicher Stelle: so hat das Kloster neben der Kirche St. Trophime in Arles im Kreuzgang zwei romanische und zwei gotische Gänge, und die Kirche selbst zählt zu den schönsten romanischen Kirchen in der Provence, die aber über die Jahrhunderte immer wieder Erweiterungen erfahren hat. Ihr Portal aus dem 12. Jahrhundert ist aber in Gänze erhalten, seine Skulpturen stellen das Weltgericht dar – auch wieder Unesco-Weltkulturerbe!

Auch die Abteikirche des Benediktiner-Klosters in Saint-Gilles beeindruckt mit ihrer Fassade und im Inneren mit den Ausmaßen einer großen Wallfahrtskirche, denn sie war seit dem 12. Jahrhundert Station auf der Pilgerroute nach Santiago de Compostela. Das Kloster ist aber nicht mehr erhalten.

Die bis heute sehr gut erhaltene Klosteranlage Sénanque befindet sich in der Nähe von Gordes (Fotomotiv: malerisches Dorf auf einem Hügel) im Tal der Sénacole – ein Zisterzienser-Kloster mit der Schmucklosigkeit, die den Orden auszeichnet. Nach einer sehr wechselhaften Geschichte leben heute wieder Mönche in ihr. Die Führungen sind professionell aufbereitet, mit Kopfhörer für jeden – bloß singen dürfen in ihr nur die Geweihten! Bekannt ist sie vor allem mit Fotos, die ihre Lavendelfelder in voller Blüte im Juli zeigen – jetzt, im September, sind alle Pflanzen bereits zurückgeschnitten.

In Villeneuve-lès-Avignon steht das älteste Kartäuserkloster Frankreichs aus dem 14. Jahrhundert, die Chartreuse du Val de Bénédiction. Auch sie durchlief eine sehr wechselvolle Geschichte, heute ist sie ein Centre Culturel, das Künstler in Residenz aufnimmt und Theaterfestspielen Raum gibt.

Die Anlage der Abbaye de Montmajour, auch wieder ein Weltkulturerbe, beeindruckt durch ihre Lage, ihre Ausmaße, ihre Geschichte und ihre Gestaltung. Im 10. Jahrhundert von Benediktinern gegründet, entwickelte sich das Kloster durch den Ablasshandel, eine Klosteranlage konnte zusammen mit dem Wachtturm errichtet werden. Im 18. Jahrhundert wurde die Abtei geschlossen, der Wechsel von Besitzern verhinderte die Instandhaltung, bis sie schließlich ab dem 19. Jahrhundert und dann nach dem zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut wurde.

Aber sogar das Zentrum der katholischen Welt befand sich im 14. Jahrhundert in der Provence, nämlich in Avignon. Bedingt durch die politischen Verhältnisse in Italien residierten hier sieben französische Päpste, zwei von ihnen haben den mächtigen Papstpalast erbauen lassen. Gerne hätten wir ihn intensiv besichtigt, aber mit den „Histo-Pads“, die man uns in die Hand drückte, war es nichts – blieb also der gedruckte Reiseführer, denn die eigenen Reiseleiter dürfen im Inneren nicht führen. Dem Eindruck von Größe und Macht, den der Palast vermittelt, tat dies aber keinen Abbruch.

Die Ideen der Reformation gelangten im 16. Jahrhundert auch nach Frankreich und fanden dort Anhänger, was eine Geschichte voller Verfolgung, Massaker und Vertreibung auslöste. Im Musée du Désert in Mialet wird über das Leben in der Verfolgung im 18. Jahrhundert in den Cevennen berichtet anhand von Dokumenten und Artefakten aus dieser Zeit. Wie innerlich lebendig eine heutige Gemeinde sein kann, erfuhren wir im protestantischen Gottesdienst in Arles, bei dem wir ganz herzlich auf Deutsch willkommen geheißen wurden.

Und schließlich gab und gibt es in Carpentras auch jüdisches Leben, die dortige Synagoge ist die älteste Frankreichs. Wir bekommen eine ausführliche Führung, informativ und geprägt von jüdischem Humor: die Decke voller Sterne über dem Versammlungsraum macht bauliche Höhe überflüssig!

Kloster St. Rémy, wo van Gogh zur Behandlung war

Das Licht in der Provence und ihre Landschaft hat immer wieder Künstler angezogen, Vincent van Gogh und vor allem Paul Cézanne sind ohne beides kaum vorstellbar. In St. Rémy de-Provence verbrachte Van Gogh in der Heilanstalt des damaligen Klosters ein Jahr seines Lebens. In einem rekonstruierten Zimmer und vor allem entlang der Allee, wenn man die Schreie hört, kann man sein Unglück sogar spüren.

In Aix-en-Provence, der Heimatstadt Cézannes, in der er fast sein ganzes Leben verbracht hat, kann man in dem Atelier, das er sich gebaut hat, erfahren, welche Umgebung er gebraucht hat für seine Kunst – nicht nur den Blick auf die Montagne Ste-Victoire, mit einer Sammlung von Requisiten und Erinnerungsstücken, sorgfältig um ihn herum versammelt, sorgte er für seine Inspiration.

Genau in diesem Jahr ist auch die audiovisuelle Vorführung in den Carriéres de Lumiéres Cézanne gewidmet (in den Steinbrüchen bei Les-Baux-de Provence). Dias seiner Bilder werden in bunter Folge auf die Wände, den Boden und an die Decke projiziert, die Musik ist passend dazu ausgesucht – ein veritables Gesamtkunstwerk, das Kunst lebendig werden lässt.

Und es ist eben diese Landschaft, die auch uns Besucher gefangen nimmt. Abgesehen von den schon erwähnten Städten sind die Dörfer klein und überschaubar, die Häuser, die außerhalb von ihnen stehen, kann man eher erraten, so verstecken sie sich zwischen Bäumen und Sträuchern. Und dann natürlich die Vegetation: Weinstöcke, zu dieser Jahreszeit bereits abgeerntet, Olivenbäume, deren Ernte noch bevorsteht, und Zypressen und Platanen. Dass die Landschaft aber noch mehr vorzuweisen hat, zeigt sie uns in Roussillon en Provence im Luberon,mit dem Sentier des ocres auf dem man die bizarren Formationen der Ockerbrüche aus nächster Nähe besichtigen kann.

Manade, wo mit weißen Pferden Stiere trainiert werden für unblutige Kämpfe

Der Höhepunkt der Provence-Landschaft ist aber genau da, wo sie wirklich topfeben ist: in der Camargue. Ein Feucht- und Schwemmland im Rhône-Delta, in dem Reis angebaut wird und Salz in Salinen gewonnen wird, und Heimat vieler Vogelarten – z. B. der Flamingos – und vor allem der weißen Pferde und der schwarzen Stiere. Sie leben halbwild, aber als Herde zusammen und gehören zu einer „Manade“, einem Betrieb, dessen „Guardians“ für sie zuständig sind. Eine Manade kann besucht werden, und man kann die Tiere dort aus nächster Nähe erleben. Aber mit Sicherheitsabstand – den schwarzen Stieren steht man besser nicht im Weg!

 

Bis hierher war es ein Bericht über das, was wir gesehen haben. Erlebt haben wir aber viel mehr, nämlich das, was die DNA einer Reise tatsächlich ausmacht – die Emotionen, die wir mit ihr verbinden, die uns länger bleiben werden als viele Wissensdetails, aber sie erst ergeben das große Gesamtbild. Wir waren Teil einer Gemeinschaft, die für jeden funktioniert hat, wir haben zusammen gesungen, was morgens beim Wachwerden hilft und auf langen Busstrecken dazu beiträgt, sie kürzer erscheinen zu lassen. Wir sind mit einem Wort zum Tag, sorgfältig ausgesucht, in ihn gestartet, wir haben uns behütet, aber nicht eingezwängt gefühlt.

Gruppenbild

Kurzum: wir waren an die Hand genommen, um eine Gegend Frankreichs nicht nur kennen-, sondern auch lieben zu lernen.

 

Der Bericht ist von Elke Hetzel, die Fotos von Rolf Oberle.