Kirche – eine „ewige Baustelle“? Stolpersteine auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft

Der Landesverband (LV) Sachsen hat unter Federführung von Jürgen von Strauwitz (Dresden) ein „Arbeitsheft“ erstellt. Darin wird eine Vielzahl von „Mängeln“ aufgelistet – Ergebnis eines längeren Diskussionsprozesses im LV über die „Baustelle Kirche“. Ein kurzer Blick ins Heft, das als PDF-Datei hier heruntergeladen werden kann.


In dem Diskussionsbericht wird „unsere Kirche“ beschrieben als ein „großes Unternehmen mit vielen Beschäftigten, Betriebsteilen […] Baustellen“, womit einerseits auf die Komplexität der Aufgaben und die vielen Reformversuche und -vorschläge der letzten Jahrzehnte abgehoben, andererseits aber auch eine gewisse Veränderungsresistenz beklagt wird. Diese behauptete Zögerlichkeit oder gar Uneinsichtigkeit erhält dann an einer Stelle auch einen Namen, womit ein gewisser Graben zwischen der Leitung der verfassten Kirche und vielen ihrer Mitgliedern in den Blick zu kommen scheint: „Wenn die Forderung nach einem neuen Bekenntnis in der Institution ›Kirche‹ ankommen soll, müssen die kirchenleitenden Organe erst einmal zur Kenntnis nehmen, dass das traditionelle Bekenntnis im Gottesdienst ein Problem geworden ist.“ Gleichzeitig räumt das „Arbeitsheft“ jedoch ein, dass „ein gemeinsam gesprochenes Bekenntnis aller „Anwesenden“ im Gottesdienst […] bei der Individualisierung der Glaubensvorstellungen fast schon unmöglich geworden“ sei.

Widerstreit der Spiel- und Lebensarten und der Prioritäten

Einer zeitgemäßen Verständigung über Inhalte und Artikulation des Glaubens – sowohl binnenkirchlich als auch in eine plurale, sich oft atheistisch gebende Öffentlichkeit hinein – stünden jedoch nicht nur sozusagen die da oben im Wege, sondern gerade auch „›Fundamentalisten‹ oder „orthodoxe“ (= strenggläubige) Christen […], (die) für sich das ›Alleinvertretungsrecht‹ über Dogmen, Bibelauslegung, Glaubenssätze, Gebote, Glaubenshandlungen, Moralvorstellungen, Lebensentwürfe u. ä. beanspruchen. Alle anderen ›Spiel- und Lesarten‹ im Glauben sind in ihrem Verständnis ›Abtrünnige‹, ›Gottesleugner‹, in die Liberalismus-Falle abgedriftete Menschen.“

Die Teilnehmer am kritischen Dialog über den Glauben sehen zehn Schwerpunkte, die einer Klärung harren. Unter dem 1. Fragenkreis „Drängende Probleme“ führen sie zum Beispiel eine mangelhafte Außendarstellung an, so dass unklar bleibe, was das eigentliche „Anliegen“ der Kirche sei. Die andauernde Debatte über strukturelle Neuordnungen bei schrumpfenden Gemeinden und nur begrenzt möglichen „Kooperationen“ lasse zuweilen die wichtige Debatte über „Gerechtigkeitsfragen“ in den Hintergrund geraten. „Zum Gottesverständnis“ (2.) wird – in einer von der Vorherrschaft der Naturwissenschaften, insbesondere der Physik, geprägten Öffentlichkeit – angemahnt, die „Kompatibilität von ›Universum‹ und ›Schöpfer‹“ plausibel zu erklären, also darzustellen, wie eine Vereinbarkeit von gängiger Urknalltheorie und Welt als Schöpfung Gottes einleuchten könne.

Eine „kritische Sicht auf die ›alten Geschichten‹“ (4.) in der Bibel und nicht zuletzt deren Gewichtung in der kirchlichen Rezeption und Verkündigung stehe nach Meinung der Diskutanten aus: „Man predigt oft über die Hirten (und) die Weisen aus dem Morgenland […] und die Engelscharen, aber kaum oder gar nicht über das ›Magnifikat‹. ›Er stößet die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllet er mit Gütern und lässt die Reichen leer.‹ Was bedeutet das für die Entscheidungen der „Kirchen“ in der Welt heute? Überlässt man die Gerechtigkeit ›Gott‹?“ – Liest man intensiver im „Arbeitsheft“, fällt immer wieder auf, dass man sich offenbar eine stärkere sozialpolitische Akzentsetzung in der kirchlichen Arbeit wünscht, eine klarere, biblisch begründbare „Option für die Armen“, wie das schon öfter genannt wurde.

Kirche sollte klar unterscheidbar sein

Gerade „Kirche als Arbeitgeber“ (5) dürfe nicht öffentlich in Misskredit geraten. So wird ein wohl immer mal wieder vernehmbarer Vorwurf in der Frage wiedergegeben: „Ist die Kirche auch nur ein oft ›schäbiger‹ Arbeitgeber?“ Wichtig sei es, kirchliche Berufe auch um des dringend benötigten Nachwuchses willen „attraktiv“ zu machen. Hier wie insgesamt gelte es darum, „Sprachlosigkeit (zu) überwinden“ und das gängige „religiöse Vokabular“ zu ersetzen (6.). Vorbilder dafür, wie man Zeitgenossen anspricht und für das interessiert, worum es der Kirche geht, gebe es ja. Es ist nicht verwunderlich, dass der Arbeitskreis neben den immer schon hervorgehobenen Namen Dietrich Bonhoeffer und Simone Weil (französische Philosophin und Sozialrevolutionärin jüdischer Abstammung) ausnahmslos aus den neuen Bundesländern stammende Persönlichkeiten benennt: Die (ehemalige) brandenburgische (SPD-) Sozialministerien Regine Hildebrandt, der Kirchenhistoriker und Politiker (Bündnis 90/Die Grünen) Wolfgang Ullmann, die Theologen Dietrich Mendt und Klaus Peter Hertzsch und den Schriftsteller und kapitalismuskritischen Journalisten Mathias Greffrath (7. Was haben wir von anderen zu lernen?).

Zu dieser Riege der Vorbilder passt es dann, „Die bedingungslose Liebe des Jesus von Nazareth“ in den Mittelpunk des 8. Schwerpunktes „Unterricht und Weitergabe der frohen Botschaft“ zu stellen. Weiter wird gefragt „9. Braucht die zukünftige Welt eine andere Theologie?“ Unter diesem Fächer finden sich dann steile, wohl auch etwas schlichte Thesen, wenn es etwa heißt: „Heutige Fragen können nicht mit AT und Paulusbriefen beantwortet werden“, literarische Zeugnisse, die vereinfachend unter „archaische Vorgaben“ (wovon das biblische jesuanische Liebeszeugnis ausgenommen wird) subsumiert werden. Um „Krieg und Frieden“ geht es im 10. Schwerpunkt. Hier scheint einerseits deutlich zu werden, dass Frieden mehr ist als die Abwesenheit von Krieg, andererseits gefragt, ob man kirchlicherseits nicht generell „Waffenexporten und Aufrüstung“ eine Absage erteilen müsste.

Das apostolische Glaubensbekenntnis – eine sperrige Zumutung

Schwerpunkt 3 der Lektüre befasst sich ausführlicher mit dem „Credo“, weil viele seiner Einzelaussage als Stolpersteine für den Glauben eines aufgeklärten Zeitgenossen wahrgenommen werden. Manchmal mutet hier die Kritik doch etwas kurios an, wenn zum Beispiel unterstellt wird, das Credo mute uns zu, „daran (zu) ›glauben‹, dass Jesus unter Pontius Pilatus ›gelitten‹ hat.“ (Denn das sei ja eine historische Feststellung, da gebe es nichts zu glauben.) Das Missverständnis liegt darin, dass das apostolische Glaubensbekenntnis den „Glauben“ in drei Artikeln als Bekenntnis zu Gott, dem Vater, Jesus Christus, dem Sohn und dem Heiligen Geist zur Sprache bringt, aber nicht sozusagen Erläuterungen dazu als Gegenstand des zu Glaubenden fordert. In den Schwierigkeiten mit dem Credo stoße der Verstand jedoch nur auf „die Spitze eines Eisberges. Der Eisberg sei das Festhalten an einem kirchlichen Lehrgebäude“ aus den ersten Jahrhunderten des Christentums. Eher wohl nicht, um es sozusagen salonfähig zu machen, aber zur Ehrenrettung dieses Lehrgebäudes holt man sich ein Zitat von Fulbert Steffensky zu Hilfe, wonach „alle Glaubensbekenntnisse ›poetische Annäherungen an die Wahrheit‹ sind.“

Ein Ausweg aus dem Dilemma mit dem traditionellen Bekenntnis sieht man in der Übernahme von Bekenntnissen, wie sie zum Beispiel Kurt Marti, Dietrich Bonhoeffer und Dorothee Sölle formuliert haben, um das dem Glauben anvertraute „Unsägliche“ zu sagen.

Hermann Pressler