Nichts wird in der evangelischen Kirche gerade so intensiv diskutiert wie ihre Krise: Sich leerende Kirchen, sinkende Mitgliederzahlen und Einnahmen, Traditionsabbruch an Wissen und Brauchtum, das stille Verschwinden christlicher Symbole aus dem öffentlichen Raum…die Klagelitanei ist lang und wohlbekannt. Als Schuldige sind die üblichen Verdächtigen ausgemacht: Die Säkularisierung und die Individualisierung. Und dagegen sollen nun von oben verordnete Strukturreformen, Diversitätsprogramme, Sprachregelungen, mehr Präsenz in den sozialen Medien und der „Grüne Gockel“ helfen, garniert mit der Kirchentagserkenntnis, dass G*tt queer sei.
Retten wird unsere Sache aber nur, wenn wir die Herausforderung der Säkularisierung endlich ernstnehmen und wieder beherzt anfangen, uns auf unser „Eigenes“ zu besinnen: Theologie zu treiben anstatt brav nachzubeten, was in den meinungsführenden Milieus gerade angesagt ist; unsere eigene Identität wieder zu beleben anstatt sich schamhaft hinter fremden Identitäten zu verstecken.
Vielfalt ermöglichen, Gerechtigkeit befördern, Verantwortung für Welt und Menschen übernehmen – sollte das für Christenmenschen nicht selbstverständlich sein? Warum es nicht einfach tun ohne Ideologisierung? Und warum nicht endlich wieder tun, was in der christlichen DNA seit Pfingsten angelegt ist: Von dem reden, was uns „unbedingt angeht“, von den „großen Taten Gottes“ in allen Sprachen (Apg.2), von denen wir als Menschen eigentlich gar nicht reden, von denen wir aber auch nicht schweigen können. Wir dürfen und wir müssen uns als Christenmenschen trauen, von GOTT zu reden, jener Chiffre der Transzendenz, die jenseits aller machbaren Erfahrung und trotzdem zu ahnen ist: In jedem Leben! Karl Rahnen nannte das das „Geheimnis“ des Lebens, nach dem die Menschen – auch die säkularisierten! – sich sehnen und nach Antwortversuchen dürsten. Und wo sonst gäbe es in unserer Gesellschaft so wunderbare Ermöglichungsräume für solches Fragen und gemeinsames Suchen? Trauen wir uns doch wieder, zu sagen:
Gott ist DA! Du bist nicht nur das wert, was du leistest! Scheitern und Schuld sind keine letzte Katastrophe! Hab keine Angst vor deiner Endlichkeit, du bist nicht ihr Gefangener! Du bist auch nicht zur Freiheit verdammt, sondern befähigt! Trau dich zu lieben, das Sicherheitsnetz ist schon gespannt! Hab nicht allzu viel Angst vor den Menschen, du bist gehalten! Du kannst alles gewinnen, weil du nichts festhalten musst!
Werden wir – die Kirche – es schaffen, der Sehnsucht nach dem Transzendenten, das mehr zu erahnen als auszusprechen ist, wieder eine Heimat zu geben, in der nicht belehrt, moralisch indoktriniert oder gar parteipolitisch vereinnahmt wird, sondern in der sich die Menschen dem Geheimnis ihres Lebens ein Stück näher fühlen können, zusammen mit anderen – denn das ist Gemeinde! ? Ich hoffe es! Und ich hoffe auch, dass die Institution Kirche nicht verschwinden wird, sondern dass sie – in verwandelter Form – als not-wendig für unsere Gesellschaft erkannt und anerkannt wird.
Ein solcher Ermöglichungsraum im Kleinen ist für mich die Evangelische Akademikerschaft, und dafür bin ich sehr dankbar.
Elke Münster
Dieser Beitrag erschien in der Ausgabe 2/2025 der evangelischen aspekte in den “Grauen Seiten”.