Unternehmer – schwäbisch – oder Leben mit Verantwortung Ein Beitrag von Elke Hetzel, Landesverband Württemberg

Ob sich schwäbische Unternehmer grundlegend von Unternehmern in anderen Teilen unseres Landes oder in anderen Ländern unterscheiden, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob eine Unternehmerethik landsmannschaftlich geprägt wird und ob da vielleicht sogar Spuren einer vor Zeiten herrschenden religiösen Haltung überdauert haben.

Ich möchte mich nicht auf das Feld der Theorie begeben, sondern ganz einfach Erfahrungen schildern, eigene Erfahrungen als Kind aus einer schwäbisch-sächsischen Unternehmerfamilie, aber auch Beobachtungen, wie ich sie gemacht habe, die auch jede und jeder andere genauso gemacht haben könnte.

Wenn man an einen typischen schwäbischen Unternehmer denkt, fallen einem bestimmt gleich einige ein, vom kleinen oder mittleren Unternehmer, wie man sie aus seiner direkten Umgebung kennt, bis hin zu den Lenkern der ganz großen Konzerne. Dabei entspricht ihr Bekanntheitsgrad nicht immer der Wertschätzung, die sie in der Öffentlichkeit genießen. Wenn man aber von einem dieser Großen fast mit Ehrfurcht spricht, dann ist es ein Mann, der in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts gelebt und gearbeitet hat: Robert Bosch.

Um eine Persönlichkeit mit dieser Wirkungskraft ranken sich auch Anekdoten – wie diese hier. Robert Bosch geht durch seinen Betrieb und sieht auf dem Boden eine Büroklammer liegen. Er hebt sie auf und fragt eine Mitarbeiterin, die seinen Weg kreuzt: „Was ist das?“ Diese – erstaunt – antwortet: „Eine Büroklammer“, darauf er: „Nein, mein Geld.“ Also ein Pfennigfuchser? Der Mann, dessen soziales Engagement bis heute zu rühmen ist (oder vielleicht gerade heute zu rühmen wäre) und den man den „roten“ Bosch genannt hat?

Die Botschaft ist wohl anders zu sehen: nichts ist zu klein, als das es in einem Betrieb nicht beachtet werden sollte. Viele Kleinigkeiten addieren sich und ergeben dann beachtliche Summen. Und das zweite, das zählt, ist die Sorgfalt, die es braucht von den ganz kleinen Dingen bis hin zu den großen Würfen.

Aber noch etwas anderes erkennt man in dieser Anekdote: Bosch selbst bückt sich – bis zur höchsten Spitze hält man sich an bestimmte Regeln. Nichts mit „Quod licet Iovi,…“. Wenn bei Bosch ein Mitglied des Geschäftsführerkreises (also des höchsten Gremiums) einen Termin hat, zu dem er mit dem hauseigenen oder gecharterten Flugzeug fliegt und einen Angehörigen mitnehmen will, so bezahlt er für dessen Flug den Preis einer Bahnfahrkarte zweiter Klasse. Übertrieben? In einer Zeit, in der Manager auf Firmenkosten den firmeneigenen Elektriker per Linie nach Mallorca fliegen lassen, damit er dort im Ferienhaus die Glühbirnen einschraubt, ist eine solche Unternehmenskultur notwendiger denn je.

Und wenn man eine solche Unternehmerhaltung sehen und spüren will, so muss man nur ins Literaturhaus im Bosch-Areal in Stuttgart gehen. Dort, im ersten Stock, liegt mit Blick auf die Liederhalle das Arbeitszimmer des „alten Bosch“. Ein Raum mit Stil und Augenmaß, nicht klein, aber weit entfernt vom Ausmaßanderer Chefzimmer, die fast schon Fußballplatzgröße haben, und auf eine schlichte Art edel. Mit Holz an den Wänden, aber ohne brasilianischen Marmor auf dem Boden. Der (neue) Tisch, der dort jetzt steht, ist eine gelungene Ergänzung. Und dass dieser Raum heute Teil des Literaturhauses ist, also eine Verbindung zwischen zwei sehr gegensätzlichen Bereichen schafft, beleuchtet noch eine andere Facette der Bosch-Philosophie, die sich immer auch der Kultur in all ihren Facetten verpflichtet fühlt. Wenn Bosch ein Firmenjubiläum feiert, wird keine Show aufgeführt, wie man sie überall sehen kann, sondern dann gibt es ein Firmenorchester und einen Firmenchor, die durchaus in der Lage sind, eine Feier würdig zu gestalten.

Und meine eigenen Erfahrungen? Als ich Kind war, war unsere Firma im Aufbau, und es war ganz klar, dass sie im Mittelpunkt stand und ihr Rhythmus das Familienleben bestimmt hat. Wenn die Kataloge verschickt werden mussten, waren am Anfang wir Kinder mit dabei und tüteten sie ein. Später waren die Mengen von uns allein nicht mehr zu bewältigen, da waren wir dann davon befreit. Aber Arbeit gab es immer genug, für uns als Jugendliche dann eine ideale Gelegenheit, das Taschengeld aufzubessern. Doch ich weiß auch von anderen Unternehmerfamilien, wo es ganz selbstverständlich war, nichts dafür zu bezahlen. Trotzdem: Taschengeld hin oder her, dahinter stand immer eine Verpflichtung. Die Verpflichtung, sich einzusetzen, sein Bestes zu geben und nie nachzulassen – die Firma hörte ja auch nie auf! Zudem war es ein Dienstleistungsbetrieb, und der erlaubt keine halben Sachen. Der Kunde hieß bei uns immer „Gast“, sein Wohl und seine Wünsche waren Richtschnur. Wir hatten noch nie etwas gehört von klientenzentrierter Unternehmensführung – wir haben sie gelebt.

Ich sage hier so selbstverständlich „wir“, es waren natürlich meine Eltern, die sich dafür entschieden hatten, so zu leben und zu arbeiten. Für uns Kinder lag es trotzdem in der Luft, und als die Zeit meiner Abgrenzung kam, wollte ich alles andere – aber nie so leben. Zudem fiel diese Phase in eine Zeit, in der man besser nicht sagte, dass man Unternehmertochter sei, Unternehmer – das waren ja alles nur Ausbeuter und was dergleichen Vokabeln mehr waren.

Dass ich dann trotzdem eingestiegen bin, hing mit der Faszination der fremden Länder und der fremden Kulturen zusammen. Aber auch mit den Herausforderungen, die sich mir stellten. Planen, organisieren, neue Wege erkunden und das Erkundete umsetzen, kurz: kreativ sein und gestalten können. Nach einem Tag, an dem wir im Team ein neues Projekt auf die Bahn gebracht hatten oder bei einem bereits etablierten eine entscheidende Wendung geschafft hatten, fuhr ich abends glücklich nach Hause.

Aber über die Jahre und mit zunehmendem wirtschaftlichen Druck spürte ich auch mehr und mehr den Druck, der auf mir lastete. Es war nicht die Menge an Arbeit, es waren nicht die vielen kleinen und großen Widrigkeiten, die mir zusetzten, sondern die Verantwortung war ein zunehmendes Gewicht, und sie hörte auch nie auf. Man kann mit seiner Arbeit aufhören am Abend oder auch am Wochenende, man kann ein Geschäftsjahr abschließen, man kann einen Verhandlungserfolg erringen – es gibt aber immer ein Danach, und wenn man ankommt, ist die Verantwortung schon lange vor einem da.

Mein Vater hat für sich dieses Gebundensein in den einfachen Satz gefasst: Man muss sich im Leben entscheiden, entweder will man gut schlafen oder gut essen. So einfach ist heute die Wahl nicht mehr. Aber wer immer sich für eine Arbeit mit Herausforderungen entscheidet – in welcher Position auch immer – entscheidet sich damit dafür, Verantwortung zu tragen und alle seine Kräfte dafür einzusetzen, ihr gerecht zu werden.