Rezension: Christliche Umweltethik

Markus Vogt, Dr. theol., Professor für Christliche Sozialethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1992 -1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung, präsentiert mit diesem breitgefächerten Standardwerk der Umweltethik und Schöpfungstheologie die Ergebnisse aus 30 Jahren wissenschaftlicher Forschungstätigkeit.

Im Teil I untersucht er methodische, empirische und gesellschaftstheoretische Perspektiven. Der zweite Teil beinhaltet theologische und kirchenamtliche Zugänge. Im Teil III werden ethisch-systematische Grundsatzfragen entwickelt, die in einem vierten Teil bei ausgewählten Handlungsfeldern vertieft werden, u.a. zur grünen Gentechnik, zur Bevölkerungsentwicklung, zur Bioökonomie und zu Fragen der Lebensführung und zur Kultur des Konsums.

Durch eine kleinteilige Gliederung der 22 Kapitel und unzähliger Abschnitte behält der Leser trotz des überwältigenden Buchumfangs dennoch die Übersicht. Ein Stichwortverzeichnis fehlt leider. Das Literaturverzeichnis allein aber umfasst 74 Seiten.

„In ethischer und gesellschaftstheoretischer Perspektive entfaltet das Narrativ des Anthropozäns eine kaum zu übertreffende moralische Dringlichkeit: Die Existenz des Menschen oder zumindest der menschlichen Zivilisation steht auf dem Spiel.“ Deshalb erfährt der Anthropozändiskurs eine ethische Zuspitzung durch die Frage der planetaren Verantwortung. Der umweltethische Appell ist jedoch so weitreichend, dass der Mensch sich in moralischer Hinsicht überfordert fühlt und offensichtlich kaum die erdgeschichtliche Verantwortung für die globale Steuerung der gesamten Biosphäre übernehmen kann.

Die Klima- und Erdsystemanalysen sind gerade hinsichtlich der Aussagen über menschliches Verhalten, das sich im Wesentlichen intentional und nicht kausal bestimmt, mit einem erheblichen Unsicherheitsfaktor verbunden. Deshalb werden von der Wissenschaft nicht Zukunftsprognosen, sondern Szenarien vorgelegt.

„Die Trägheit zivilisatorischer Reaktionsmuster scheint ein unüberwindbares Hindernis für vorausschauende Gefahrenabwehr. Die Rechtfertigungsversuche für gesellschaftliches Nichtstun sind vielfältig: u.a. Technologie-Utopismus (Vertrauen in technische Lösungen), das Weltbild der Apokalyptiker (Lähmung durch Zukunftsangst), Naturfatalismus (vermeintliche Unausweichlichkeit eines „Rückschlags“ der Natur) …“

Eine wichtige Rolle im Anthropozändiskurs spielen langfristige geologische Großprojekte, wie z:B. Geo-und Climate Engineering (CCS). Diese Techniken müssen zuverlässig auch vor politischen Missbrauchs- und Erpressungsmöglichkeiten geschützt werden. Wenn sie einmal begonnen wurden, müssen sie über Jahrzehnte oder Jahrhunderte weitergeführt werden, da ein plötzlicher Abbruch eine Art Klimaschock auslösen könnte. Die kooperative langfristige Steuerung von CSS-Systemen in einer fragmentierten Weltgesellschaft über Jahrhunderte ist eine technische, gesellschaftliche und moralische Überforderung.

Der gesellschaftliche Diskurs sollte sich angesichts der vielschichtig miteinander verflochtenen Krisen (Klimawandel, Finanzsystem, Pandemien, Hunger, Süßwassermangel, Verlust der Biodiversität, Rohstoffknappheiten u.a.) stärker auf Resilienz und Antifragilität, also robusten Umgang mit Wandlungsprozessen konzentrieren.

Es geht nicht darum, einen Angst-Diskurs zu schüren, sondern ganzheitliche Leit- und Zukunftsbilder zu entwerfen. Durch Resilienz-Stärkung kann der Blick von den angstauslösenden Katastrophen auf Potentiale und inhärente Ressourcen der Krisenbewältigung gerichtet und ein mündiger und differenzierter Umgang mit Risiken gestaltet werden.

Der Klimawandel ist nicht nur ein technisches, ökonomisches und politisches Problem, sondern stellt auch kollektive Denkmuster und Geisteshaltungen moderner Gesellschaften insgesamt in Frage. Umwelttugendethik greift zu kurz, wenn deutlich wird, „dass sich die drängenden Probleme durch tugendhaftes individuelles Verhalten nicht lösen lassen. Klimawandel, Überraschung, Entwaldung, Wasserverknappung, Biodiversitätsschwund usw. verlangen kollektive politische, institutionelle und regulatorische Lösungen“ (zitiert nach Hardmeier/Ott 2015)

Massenhaft zur Verfügung gestellte Güter begünstigen eine Verbrauchs- und Wegwerfmentalität, die zur Vergeudung der natürlichen Ressourcen führt. Der Konflikt zwischen dem begrenzten Angebot der Erde und der grenzenlosen Nachfrage des Menschen fordert ein Umdenken. Das christliche Menschenbild bestimmt den Wert des Menschen nicht von der Menge der konsumierten Güter und kann so zu einem maßvollen, gerechten und verantwortlichen Umgang befähigen.

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Der Anthropozändiskurs hat eine zutiefst religiöse Dimension. „Durch den Schrei der Schöpfung spricht Gott uns“. Der konzeptionelle Beitrag der Theologie sollte jenseits der Verdrängung und Verharmlosung der Situation Zuversicht vermitteln, ohne einen naiven Fortschrittsglauben zu stützen. Durch das Brüchig-Werden des Fortschrittsglaubens im Klimawandel müssen Unbestimmtheit (Ambiguitätstoleranz) und Kontingenz ausgehalten werden.  Christliche Hoffnung schöpft ihre Zuversicht daraus, dass Gott die Menschen auch in schmerzhaften Transformationsprozessen begleitet. Die Theologie ist seit jeher darauf angelegt, sich für das nicht Wissbare, nicht rational Erfassbare offenzuhalten. Die theologischen Traditionen des Umgangs mit Nichtwissen, Unsicherheit und Paradoxien können fruchtbar in den Umweltdiskurs eingebracht werden.

Abschließend sollen noch einige wenige Überschriften aus einzelnen Abschnitten aufgeführt werden, um die Vielschichtigkeit und Bandbreite der dargelegten Perspektiven zu zeigen:

Der Mensch als „Ingenieur “ der Biosphäre?  Das Prinzip Verantwortung versus Prinzip Hoffnung . Indikatoren für die Schattenseiten des Wachstums.  Schöpfungstheologie in ethischer Perspektive, Gottesebenbildlichkeit und „Erdverbundenheit“ des Menschen.  Schöpfungsvertrauen.  Transformative Utopien. Ökologischer Dialog als locus theologicus für die Gottesfrage.  Falle des naturalistischen Fehlschlusses. Der Antirealismus als Strategie der Klimaskeptiker. Vernetzung als Schlüsselprinzip der Umweltethik. Ökologische Schuld. Klimagerechtigkeit als Bewährungsprobe globaler Fairness. Intergenerationelle Verantwortung im Horizont einer Theologie der Zeit… Risikomündigkeit und Resilienz als Strategien für die „Große Transformation“. Die deklamatorische Verantwortungsüberlastung der Politik. Die Logik des Misslingens. Die Unterschätzung des „Risikofaktors Mensch“.  Risikomündigkeit angesichts systematischen Unwissens. Kontingenz als Herausforderung für Ethik und Theologie. Unsicherheit als Bestandteil der „kognitiven Infrastruktur“. Theologie – die Wissenschaft vom gewussten Nichtwissen.  Verzögerung des fossilen Endspiels.

Magdalene Schönhoff

 

Christliche Umweltethik Grundlagen und zentrale Herausforderungen. von Markus Vogt; Verlag Herder, Freiburg im Breisgau, 2. Auflage 2022, 784 Seiten, ISBN: 978-3-451-39110-1