Der lange Weg zu einer nachhaltigen Ernährung Aus Wissen muss noch Handeln werden

Das Schwerpunktthema des EAiD-Kirchentagsstandes „Ernährung“ nimmt Impulse aus dem AK „Frieden, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit“ auf. Im Interview erläutert Arbeitskreis-Leiter Dr. Rudolf Halberstadt, wie wichtig das Zusammenwirken vieler Akteure in diesem Bereich ist.

Herr Dr. Halberstadt, das Thema „Nachhaltigkeit“ ist seit einiger Zeit in aller Munde. Trotzdem scheinen Veränderungen nur in sehr kleinen Schritten zu passieren. Woran liegt das?

Halberstadt: Wir wissen über die Probleme sehr viel. Auch bei den Lösungsansätzen ist der Wissensstand hoch. Aber auch der Handlungsbedarf ist groß. Trotz vieler guter Ansätze, ist ein entscheidender Fortschritt auf dem Weg zu notwendigen Veränderungen noch nicht gelungen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Dazu gehören vor allem die unterschiedlichen Interessen der Akteursgruppen in Produktion, Handel und Konsum. Hinzu kommen Regelungslücken und Vollzugsdefizite im Bereich der Rahmenbedingungen. Im Vertrauen auf die Selbststeuerungskräfte im Marktgeschehen werden Fehlentwicklungen häufig nicht erkannt oder verdrängt. Eine Chance zur Umsteuerung haben wir allerdings nur, wenn alle Akteure auf das gleiche Ziel hin zusammenwirken.

Was verursacht aus Ihrer Sicht im Bereich „Ernährung“ die meisten Probleme?

Halberstadt: Aus der Intensivierung und Industrialisierung in der Landwirtschaft und der Ernährungswirtschaft ergeben sich negative Auswirkungen für die Umwelt. Negative Auswirkungen gibt es auch im Bereich der Gesundheit. Hinzu kommt der seit langem fortschreitende Rückgang der Artenvielfalt. Dies belegen die Forschungsergebnisse von Rachel Carson über die Auswirkungen des übermäßigen Einsatzes von giftigen chemischen Pflanzenschutzmitteln auf den Rückgang der Arten (vgl. Der stumme Frühling, Original: Silent Spring, 1962 ). Der negative Trend ist seitdem trotzdem ungebrochen.

Und wo gibt es erkennbare Fortschritte?

Halberstadt: Viele geeignete Lösungsansätze sind bekannt und gut dokumentiert. Sie haben auch Eingang gefunden in die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie und in die Nachhaltigkeits-Agenda der Vereinten Nationen. Im September 2015 haben alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ zugestimmt. Dies ist ein besonderer Meilenstein in den internationalen Beziehungen, weil in einem Gesamtkonzept die traditionelle Entwicklungspolitik mit einer an Nachhaltigkeitszielen ausgerichteten Eigenentwicklung aller Mitgliedsländer verknüpft wurde. Als Teil der Agenda 2030 wurden siebzehn Globale Ziele für nachhaltige Entwicklung verabschiedet (Sustainable Development Goals, SDGs). Für unser Thema ist das Ziel „Den Hunger beenden, nachhaltige Landwirtschaft fördern“ von besonderer Bedeutung (Ziel Nr. 2).

Was kann denn jede/r einzelne bei seiner eigenen Ernährung für mehr Nachhaltigkeit tun?

Halberstadt: Auf der Grundlage des Wissensstandes in Forschung und Praxis hat Uwe Schneidewind, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie, im Kapitel „Ernährungswende“ seines Buches Die Große Transformation (2018) einen „Zehn-Punkte-Plan der ökologischen Handlungsoptionen in der Ernährungsbranche“ vorgelegt. Dieser kann nach seiner Einschätzung „als Leitfaden für Entscheidungen zur Förderung einer nachhaltigen Ernährung“ dienen, und zwar für alle – „vom Weltkonzern bis zum Kunden an der Theke“. Die zehn Punkte lauten (S. 251-252):

  1. Reduktion des Fleischanteils
  2. Verstärkte Saisonalität
  3. Reduktion von Lebensmittelabfällen
  4. Optimierung von Lagerung, Kühlung, Zubereitung
  5. Vermeidung ressourcenintensiver Mobilität
  6. Einsatz und stärkere Nutzung biologischer Lebensmittel und Zutaten
  7. Reduktion von Verpackungen
  8. Verringerte Nutzung verarbeiteter Produkte
  9. Verstärkter Rückgriff auf regionale Produkte
  10. Förderung und Kauf von Fair-Trade-Ware.

Der Arbeitskreis „Frieden, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit“ sucht ja auch die Vernetzung mit anderen Akteuren, u.a. mit dem neu geschaffenen Referat „Nachhaltigkeit“ im Kirchenamt der EKD. Was sind in diesem Bereich die wichtigsten Entwicklungen?

Halberstadt: In einem wichtigen Impulspapier der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung wird überzeugend und ermutigend herausgearbeitet, welche Bedeutung die Agenda 2030 für die Neuausrichtung der Politik für eine nachhaltige Entwicklung in Deutschland und weltweit hat. Das Impulspapier wurde 2018 unter dem programmatischen Titel veröffentlicht: „Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben. Die Agenda 2030 als Herausforderung für die Kirchen“ (EKD-Texte 130). In diesem lesenswerten Text wird in der Tradition wichtiger Denkschriften und Veröffentlichungen der EKD die Notwendigkeit zum Umdenken und Neuanfang für den Bereich der nachhaltigen Entwicklung in Staat, Gesellschaft und Kirchen begründet. Der Kirche kommt dabei eine wichtige Rolle zu als „Mahner, Mittler, Motor“. Das unterstreicht der Vorsitzende des Rates der EKD, Dr. Heinrich Bedford-Strohm in seinem Vorwort so: „Wir wollen zur Umkehr mahnen, wir wollen in gesellschaftlichen Zielkonflikten vermitteln und um faire Lösungen ringen. Und wir wollen selbst in unserer kirchlichen Praxis noch nachhaltiger und glaubwürdiger werden“ (S. 7).

Wird diese Willensbekundung auch konkret?

Halberstadt: Unter der Überschrift „Was zu tun ist“ wird im Kapitel 5 des Textes am Beispiel der Verknüpfung des Kampfes gegen den Hunger mit der Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft (Ziel Nr. 2) im Einzelnen herausgearbeitet, was das auf den drei Ebenen UNO, Deutschland und Kirchen bedeutet. In der Agenda 2030 wird z.B. angestrebt, bis 2030 Produktivität und Einkommen von „kleinen Nahrungsmittelproduzenten“ zu verdoppeln, „aber auf eine Art und Weise, die nicht den Druck auf die Ökosysteme (Klima, Gewässer, Boden, biologische Vielfalt) erhöht“ (S.37f.). In der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie wird z.B. angekündigt, den Anteil des ökologischen Landbaus in den nächsten Jahren auf 20% der landwirtschaftlich genutzten Fläche zu erhöhen. Allerdings ohne weitere zeitliche Konkretisierung, wie kritisch angemerkt wird (S. 38f.). Für den kirchlichen Bereich wird anerkennend und kritisch auf die Bemühungen in verschiedenen Landeskirchen hingewiesen, die „Ethischen Leitlinien für eine nachhaltige Landwirtschaft“ der EKD bei der Verpachtung landwirtschaftlich genutzter kirchlicher Grundstücke umzusetzen (S. 40f.).

Das Interview führte Bertram Salzmann auf schriftlichem Weg.

Dr. Rudolf Halberstadt ist Verwaltungsjurist und beschäftigt sich seit langem – beruflich und ehrenamtlich – mit den Herausforderungen der Nachhaltigen Entwicklung: u.a. in interdisziplinären Forschungsinstituten und im Bauministerium des Landes Nordrhein-Westfalen. Seit 2012 leitet er den Arbeitskreis „Nachhaltigkeit“ (seit 2015: AK „Frieden, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit“) der EAiD.