Absolut nicht hinnehmbar! Sind evangelische Kirchen frauenfeindlich? Ein Rückblick auf den Frauensalon „Gewollte Zerstörung der Frauenarbeit“. Von Anja Schwier-Weinrich.

Der aktuelle Sachstandsbericht zu den Kürzungen der EKHN im Bereich der überregionalen Frauenarbeit verdeutlicht, dass damit die Unterstützung der Frauenarbeit in den Gemeinden langfristig wegbrechen wird, die der Landesverband der Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau als Dienstleisterin durch aktuelle gesellschaftspolitische Berichterstattungen und theologischen Input tagtäglich gewährleistet. In ihrem Bericht zeichnet Anja Schwier-Weinrich, die Geschäftsführende Pfarrerin, ein düsteres Bild über die Zukunft der Frauenarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland:

“Eine Landeskirche nach der anderen streicht die Mittel für die Frauenwerke, -verbände und -Organisationen oder kürzt die Frauenpfarrstellen weg. Auch in meiner Kirche, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Jede und jeder schiebt die Verantwortung der anderen Seite zu und beklagt anschießend die Entscheidungen der Synode. Leitungspersonen exkulpieren sich und bedauern die Kürzungsentscheidungen, obwohl sie selbst mit Synodenvorlagen genau diesen Abbau vorgeschlagen haben. Diese Entwicklung ist ein fataler Schritt.

Selten war eine Rückkehr zum traditionellen Frauenbild so deutlich zu beobachten wie heute. Die Tradwives (dt. traditionellen Frauen) boomen auf Instagram und Co und geben im 50-Jahre-Look Haushaltstipps, sie begründen nicht selten ihre Familienrolle mit dem biblischen Unterordnungsauftrag. Häusliche Gewalt ist durch die Lock-Downs der Pandemie deutlich angestiegen. Die Verbote von gendergerechter Sprache in Hessen und Bayern sind Beispiele für die Verdrängung von Frauen in Sprache und Öffentlichkeit. Für manche seit langem engagierte Frau an der Basis ist völlig unverständlich, dass nach der Bibel in gerechter Sprache, den feministischen Aufbrüchen in Theologie und neuen Liturgien, jetzt nur noch männliche Gottesbezeichnungen verwendet werden.

Die weniger werdenden Finanzmittel in den Haushalten der Kirchen und des Bundes sind Brandbeschleuniger, die mit der AfD salonfähig gewordenen Diskreditierungen von feministischer Außenpolitik oder gendergerechter Sprache wirken als Katalysatoren eines fatalen Abbauprozesses bisheriger Errungenschaften. Das alles zeigt, wie gerade jetzt Frauenarbeit wichtig ist, um Frauen in aller Vielfalt sichtbar zu machen, sie zu stärken und einer Retraditionalisierung entgegenzuwirken.

Als leitende Pfarrerin eines dieser Verbände sage ich ganz deutlich, dass wir dennoch all unsere Kraft nutzen, um in Wissenschaft, kirchlichen Strukturen und in Gesellschaft Frauenthemen in der Öffentlichkeit zu halten und den gendersensiblen Umbau verkrusteter Strukturen voranzutreiben. Wir trauen uns zu, uns weiterhin, trotz der jetzt sehr begrenzten Mittel, für Frauen zu engagieren und die feministischen Errungenschaften zu verteidigen. Dennoch: Schwer nachvollziehbar ist, diese Arbeit mit und für Frauen abzubauen, ohne überhaupt mit uns zu sprechen und ohne wahrzunehmen, wie erfolgreich diese seit einigen Jahren ist, wie sie längst zukunftstauglich gemacht werden konnte. Es ist nicht hinnehmbar, so mit uns umzugehen!

Leider hat die EKD-Synode bereits 2021 die Ausgaben für das Zentrum Männer und Frauen der EKD um 75 Prozent gekürzt und damit auch der Frauenarbeit wichtige Mittel entzogen. Dabei hatte die EKD-Synode bei ihrer Entscheidung doch gerade betont, dass es nur um den Abbau von angeblichen Doppelstrukturen ging und Frauenarbeit in den Landeskirchen und den Gemeinden wichtig bleibt.

Die kirchlichen Frauenorganisationen werden nicht müde rund um Weltgebetstag, Equal-Care- und Equal-Pay-Day, den Internationalen Frauentag und bei Pfarrerinnen*tagen oder Theologinnen*konventen die Ungleichbehandlung und den Backlash anzuklagen und sich gegen den Abbau zu wehren. Die verschiedenen Auszeichnungen für feministisch theologisches Arbeiten reichen aber nicht aus, um damit in theologischen Examina und Prüfungsinhalten gendergerechte Aufbrüche der vergangenen Jahre deutlich werden zu lassen. Wenn weiterhin nur weiße, männliche Theologie von bereits verstorbenen Theologen die Examina bestimmen, ist es kein Wunder, wenn interessante Theolog*innen in die USA gehen, um dort in Forschung und Lehre tätig zu werden.

Die Kirchen setzen bei geringeren Steuereinahmen wie selbstverständlich auf die Arbeit der Ehrenamtlichen. Der Großteil der Ehrenamtlichen in den Kirchen sind Frauen. Viele von ihnen kommen aus der Verbandsarbeit und schätzen die strukturelle Unterstützung von feministisch- theologischen und spirituellen Impulsen oder die Stellungnahmen zu aktuellen gesellschaftlichen Themen. Die Frauenorganisationen leisten hier viel. Sie haben durch die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen die Kompetenzen, um aktuelle Fragen so aufzuarbeiten, dass sie an der Basis diskutiert werden können. Sie sind als übergemeindliche Organisationen besonders wichtig, weil Ehrenamtliche in den vielen Umstrukturierungsmaßnahmen nur noch mit Gemeindefusionen, Neuordnung von Dekanaten und Kirchenkreisen sich mit Zahlen und Rechtsanpassungen beschäftigen müssen, so dass theologische und ethische Fragen auf der Strecke bleiben.

Wir werden uns weiter mit den ungeklärten Fragen zur gendersensiblen Theologie, Gleichberechtigung in kirchlichen und gesellschaftlichen Strukturen, neuen feministisch- theologischen Inhalten in den Prüfungsordnungen und Genderbudgeting beschäftigen!”

 

Anja Schwier-Weinrich

Geschäftsführende Pfarrerin des Landesverbands Evangelische Frauen in Hessen und Nassau e.V., Vorständin im Verein zur Förderung der Feministischen Theologie in Forschung und Lehre e.V.

 

Der Frauensalon „Gewollte Zerstörung der Frauenarbeit“ im September 2023 mit Ute Knie, Vorständin des Vereins zur Förderung feministischer Theologie in Forschung und Lehre und Anja Schwier-Weinrich als leitende Pfarrerin des Frauenverbands Evangelische Frauen in Hessen und Nassau kam zu dem Ergebnis, dass Frauenarbeit in vielen evangelischen Kirchen gerade abgeschafft wird. Auslöser für diesen Frauensalon (nachzuhören unter https://www.youtube.com/watch?v=FOo2VXdnDAQ&t=1s) war die Synodenentscheidung in Hessen und Nassau, die Finanzzuweisung an den Frauenverband überproportional zu kürzen.