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Thomas Nagel: Das psychophysische Problem

In einer Radiosendung, die ich kürzlich hörte, empfiehlt Peter Bieri – jener Philosoph, der das Lesen von Begriffsklärungen wie dem der Würde oder der Freiheit zum Vergnügen macht – jedem an Philosophie Interessierten ein kleines Büchlein von knapp 100 Seiten des amerikanischen Philosophen Thomas Nagel: „Was bedeutet das alles? Eine ganz kurze Einführung in die Philosophie.“ In einem Einleitungs- und neun thematischen Kapiteln stellt Nagel die zentralen Probleme philosophischen Nachdenkens vor. „Das psychophysische Problem“ ist das dritte Kapitel. Er beschreibt, dass zwar Vorgänge im Geist von Vorgängen im Gehirn abhängen, dies gehört aber zu den Naturwissenschaften, nicht zur Philosophie. Die philosophische Frage lautet: „Ist unser Geist etwas, das zwar mit unserem Gehirn in Verbindung steht, aber doch von ihm unterschieden ist, oder ist er unser Gehirn?“  Er beschreibt kurz drei mögliche Positionen: Den Dualismus, der Geist und Gehirn für zwei verschiedene Dinge hält. Den Physikalismus, der davon ausgeht, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis der Geist vollständig aus dem Gehirn erklärbar ist. Und schließlich die Doppelaspekttheorie, der „zufolge [wir uns] nicht aus einem Körper plus einer Seele zusammensetzen – sondern lediglich ein Körper sind, dass jedoch unser Körper, oder zumindest unser Gehirn, kein bloß physikalisches System ist. Er ist ein Objekt mit sowohl physikalischen als auch psychischen Aspekten: er lässt sich zwar anatomisch zerlegen, er besitzt jedoch in gewissem Sinne einen inneren Raum, der durch eine solche Vivisektion nicht aufgedeckt zu werden vermag.“ Das Kapitel vermutet am Ende:

“Man wird so lange keine angemessene Gesamtauffassung der Wirklichkeit besitzen, als man nicht erklären kann, auf welche Weise eine Vielzahl physikalischer Elemente, sofern sie auf die richtige Weise zusammenkommen, nicht allein einen funktionsfähigen biologischen Organismus bildet, sondern darüber hinaus ein bewusstes Wesen. Könnte man das Bewusstsein selbst mit irgendeinem physikalischen Zustand identifizieren, so hätte man freie Bahn für eine vereinheitlichte physikalische Theorie von Geist und Körper, und daher vielleicht auch für eine physikalische Einheitswissenschaft vom Universum. Das Gewicht der Argumente gegen eine rein physikalische Theorie des Bewusstseins macht es jedoch wahrscheinlich, dass eine physikalische Theorie der gesamten Wirklichkeit nicht möglich ist. Die Naturwissenschaften verdanken ihren Fortschritt der Tatsache, dass sie das Psychische aus dem Gebiet dessen aussparen, das sie zu erklären suchen, doch womöglich gibt es zwischen Himmel und Erde mehr, als man mit den Mitteln der Naturwissenschaften verstehen kann.”

Das physikalistische Weltbild ist so dominant, dass eine religiös gläubige Person, die dieses in Frage stellen möchte, gleich unter den Verdacht fällt, nur ihre (vermeintlich rückständigen) Ansichten verteidigen zu wollen – es lohnt nicht, ihr zuzuhören. Gerade weil die Philosophie nicht bekannt dafür ist, im Dienst des Glaubens zu stehen, tut es gut, ihr zuzuhören, wenn sie in Frage stellt, was dem allgemeinen Denken bereits als gesichertes Wissen erscheint.

WD

 

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