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Nachhaltigkeit als Herausforderung für die Gesellschaft

Beitrag zur Nachhaltigkeits-Diskussion

Schon vor dem ersten Bericht des Club of Rome 1972 haben Christen angesichts der Bedrohung unserer natürlichen Lebensgrundlagen die Schöpfungstheologie (wieder)entdeckt und zu einer ökologischen Theologie weiterentwickelt. Der Ökumenische Rat der Kirchen hatte hier eine Vorreiterrolle und setzte dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung seiner Vollversammlungen, so in Genf (1970), Basel (1989) und Canberra (1991), bevor die internationale Staatengemeinschaft Umwelt und Entwicklung auf der UN Konferenz von Rio (1992) in Form der Agenda 21 in den Focus rückt, auf die inzwischen die Agenda 2030 folgte. Der Einsatz des ÖRK für diese Ziele ist eng verbunden mit dem Konziliaren Prozess „Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung“ (Vancouver, 1983). Die EKD veröffentlichte die Denkschrift „Umkehr zum Leben – Nachhaltige Entwicklung im Zeichen des Klimawandels“ (2009) sowie das Impulspapier „Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“ (2018) . Allerdings scheint das Thema in den Ortsgemeinden und auch in der theologischen Ausbildung noch nicht so verankert zu sein, wie man das angesichts des frühzeitigen Engagements der Kirchen erwarten würde – hier besteht eine gewisse Diskrepanz. Außerdem sind ökologische engagierte Christen auch oft mehr an politischer Aktion als an theologischen Grundlagen interessiert.

Aus historischer Sicht ist die Schöpfungstheologie in Deutschland seit dem Ende des 19. Jahrh. und insbesondere der Zeit des Nationalsozialismus belastet durch die ideologische Vereinnahmung im Sinne einer „Schöpfungsordnung“, mit der völkische Blut-und-Boden Ideologien und der Führerkult pseudo-christlich legitimiert wurden. Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer widerstanden diesen gefährlichen Irrlehren. Sie vertraten eine kompromisslos christozentrische Theologie, die in der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 ihren Niederschlag fand, und die vielfach bis heute prägend geblieben ist . Schöpfungstheologie steht dazu keineswegs im direkten Widerspruch, recht verstanden vielmehr in Kontinuität: „In der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus wird die Liebe Gottes zu seiner ganzen Schöpfung in ganz besonderer Weise offenbar… Nicht nur der Mensch, sondern auch die Mitschöpfung hat also eine Gottesbeziehung! … Die in Christus erneuerte Gottesbeziehung ist demnach nicht nur für den Menschen, sondern für die ganze Schöpfung von Bedeutung“ (R. Gütter). Eine so verstandene Schöpfungstheologie setzt sich auch kritisch mit der Individualisierung der Religion seit der Aufklärung auseinander, die sich oft verengt hat auf Kategorien wie Schuld, Sünde, und Rettung der Seele, während sich die Theologie aus der „Welterklärung“ schrittweise zurückzog und die Deutungshoheit vollständig den Naturwissenschaften überließ. Der Begriff „Schöpfung“ wurde und wird oft nur noch formelhaft verwendet, und Theologen übernahmen naturalistische Positionen einfach, um mögliche Widersprüche zum naturwissenschaftlichen Weltbild zu vermeiden, und nicht gestrig oder wissenschaftsfeindlich zu erscheinen. Inzwischen greift aber ein latentes Unbehagen an der alleinigen „Herrschaft der (Natur)Wissenschaften“ um sich, die sich oft irrational in Esoterik, Verschwörungstheorien, und in offener Ablehnung der Wissenschaft artikuliert. Dabei käme es darauf an zu zeigen, dass christlicher Glaube und Wissenschaft die Welt aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Voraussetzungen betrachten und dabei ggf. eben auch zu unterschiedlichen Schlüssen kommen. Daraus ist aber keine generelle Gegnerschaft abzuleiten – im Gegenteil, erst naturwissenschaftliche Erkenntnisse erlauben es, den Zustand der Schöpfung zu beschreiben und Lösungsansätze für ihre Bewahrung zu entwickeln.

Andererseits liefert Wissenschaft zwar belegbare Fakten und kann mögliche Zukunfts-Szenarien aufzeigen, sie hat aber keinen eigenen normativen Gehalt und kann Menschen und Gesellschaften nicht motivieren, ihr Verhalten zu ändern.

Die teils unheilvolle Vorgeschichte der Schöpfungstheologie sollte uns auch Mahnung bleiben, sie nicht als Einfallstor für synkretistische, die christliche Lehre relativierende oder gar untergrabende Vorstellungen zu missbrauchen.

6 Thesen

Im Anschluss an diese Überlegungen werden im Folgenden 6 Thesen formuliert. Sie sollen als weitere Grundlage für (kontroverse?) Diskussionen dienen, ohne den Anspruch auf eine vollständige Abbildung der Problemlage zu erheben:

  1. Die Individualisierung unserer Glaubensvorstellungen (s.o.), insbesondere im Protestantismus, führt zu einer stark moralisch aufgeladenen Bewertung des Verhaltens von Menschen, z.B. als „Klimasünder“, von denen Umkehr und Buße erwartet wird. Das führt vor allem zu einer Überbewertung von Symbolhandlungen, die der Einzelne in seinem Alltag leichter umsetzen kann (Ein eklatantes Beispiel hierfür ist die Diskussion um das Verbot von Heizpilzen im Außenbereich von Lokalen). Natürlich sind auch individuelle Verhaltensänderungen notwendig, aber die Transformation unserer Industriegesellschaft verlangt mindestens ebenso sehr strukturelle Veränderungen auf der politischen Ebene. Gier kann sowohl individuelle als auch kollektive Züge tragen – beides soll klar benannt und Umkehr einfordert werden. Aber anstatt sich darauf zu konzentrieren, Menschen ein schlechtes Gewissen zu machen, sollten die Kirchen sich auf die Verkündigung froher Botschaften konzentrieren und das Bewusstsein dafür wecken, welcher Zugewinn an Lebensqualität, im Sinne eines „Guten Lebens“, bei Veränderungen unserer Wirtschaftsweise für alle zu gewinnen ist.
  2. Der Einsatz für Nachhaltigkeit in Kirche und Gesellschaft darf kein Elitenprojekt sein! Vielmehr muss es darum gehen, breite Akzeptanz und Unterstützung zu gewinnen. Es darf nicht vergessen werden, dass ökonomisch Bessergestellte eher die „wahren Kosten“ aufbringen können, die für Waren und Dienstleistungen unter Berücksichtigung der ökologischen Lasten eingefordert werden. Der Suffizienzgedanke wird eher bei denjenigen Akzeptanz finden, die nicht befürchten müssen, zu kurz zu kommen, und die auch im (relativen) Verzicht noch materiell gut versorgt bleiben.
  3. Die christliche Verkündigung darf und soll auf Missstände und die Folgen des Klimawandels und der ökologischen Krise im Sinne der Rolle der Kirche als „Mahner“ hinweisen, aber sie darf sich nicht am „Wettlauf der Dystopien“ beteiligen. Manche Akteure scheinen geradezu in einen Überbietungswettstreit apokalyptischer Zukunftsszenarien eintreten zu wollen. Dabei bietet gerade die Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaft und Gesellschaft ein großes Potential für positive Zukunftsentwürfe (im Sinne einer Verbesserung der Lebensumstände vieler Menschen in globaler Perspektive, s.u.), im Gegensatz zu anderen „Megatrends“ wie Digitalisierung und künstliche Intelligenz, die im besten Falle als ambivalent wahrgenommen werden, oder gar die Rückkehr des Nationalismus. Im Zentrum der christlichen Verkündigung muss immer die Zusage Gottes stehen, dass er den Menschen auch im individuellen und kollektiven Scheitern nicht verlässt. Das darf aber auch kein Ausruhen auf der „billigen Gnade“ (Bonhoeffer) rechtfertigen, die alle Verantwortung auf Gott schiebt. „Für die anstehenden Transformationsprozesse können die Narrative der Hoffnung und des Friedens, die Religionen zu bieten haben, sehr wichtig werden. Solche Narrative und Bilder der Hoffnung können Kräfte wecken für das notwendige Tun. Die Hoffnung auf das kommende Gottesreich entbindet nicht von der gegenwärtigen Verantwortung des Menschen für die Zukunft der Schöpfung, sondern stärkt sie“ (R. Gütter , s.a. der theologische Teil des Impulspapiers der EKD ).
  4. Der biblische Auftrag in der Schöpfungsgeschichte „Macht Euch die Erde untertan“ (Gen 1.28) gilt ökologisch motivierten Theologen oft als der eigentliche Sündenfall, oder aber als missverstandene Auslegung des Textes, obwohl in der Bibel wiederholt der Mensch als Gestalter und treuhänderischer Verwalter der Erde angesprochen wird. Manche sehen daher das Christentum, oder vielmehr die christlich geprägte abendländische Kultur, als den eigentlichen Schuldigen für unsere ökologische Krise an . In der Tat haben auch die Kirchen (bzw. wir Christen) Anteil an unserer Verantwortung für die Ausbeutung unserer natürlichen Ressourcen. Aber im biblischen Auftrag äußert sich vor allem ein nüchterner Blick auf die Natur des Menschen, der Kraft seiner analytischen, technischen, organisatorischen und sozialen Fähigkeiten seine Umwelt prägen und formen kann . Und gilt es nicht, diese Rolle als treuhänderischer Sachwalter der uns anvertrauten Erde auch bewusst anzunehmen? Auch nachhaltiges Wirtschaften setzt den gestaltenden Menschen voraus; er soll sein Handeln nun aber darauf ausrichten, Lebensperspektiven für die Mitgeschöpfe und die eigene Spezies zu wahren. In unserem Erdzeitalter, dem Anthropozän, prägt der Mensch die Biosphäre (u.a. auch das Klima) – dieser Aufgabe kann er sich nicht entziehen. Hans Jonas hat das in seinem „Prinzip Verantwortung“ als ethische Maxime formuliert . Sein kategorischer Imperativ „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“ entspricht dem Nachhaltigkeitsprinzip und bezieht die Gerechtigkeit gegenüber künftigen Generationen mit ein. Dabei ist die menschliche Technik nicht nur Teil des Problems, sondern sie wird auch Teil der Lösung sein müssen .
    Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch die Kritik am christlichen „Anthropozentrismus“, die sogar aus kirchlichen Kreisen gelegentlich zu vernehmen ist . Eine Relativierung des Wertes menschlichen Lebens als nur ein Produkt der Evolution unter vielen, oder gar als Irrweg derselben, kann zur geistigen Munition für menschenfeindliche Ideologien werden.
    „Der Mensch hat die phantastische Chance und Verpflichtung, als Geschöpf die Schöpfung mit zu gestalten…er ist aber befreit davon, Schöpfer spielen zu müssen. Geschöpf zu sein, getragen von der Kraft und Weisheit des Schöpfers, ermöglicht einen maßvollen Umgang mit der Schöpfung“ (C. Stückelberger)
  5. Die Eindämmung des Klimawandels ist eine globale Aufgabe, die auch eine globale Perspektive voraussetzt. Die Erderwärmung nimmt keine Rücksichten auf religiöse Unterschiede und kulturelle Barrieren. Eine Auseinandersetzung mit diesen Themen darf daher nicht in einer religiösen Nabelschau enden – vielmehr muss das gemeinsame Anliegen interkonfessionell, interreligiös und interkulturell verfolgt werden. Zumindest auf der Ebene der Ökumene ist das vielfältig verwirklicht . Initiativen, die hier Brücken zwischen den Religionen schlagen, z.B. das Geneva Interfaith Forum on Climate Change, Environment, and Human Rights oder Stiftung Weltethos verdienen unsere Unterstützung. In einer aufgeschlossenen Haltung können wir von anderen Religionen und Kulturen profitieren; gerade in Hinblick auf den Umgang mit der Natur sind wir sehr lernbedürftig.
  6. Ein Dialog zwischen Naturwissenschaft und christlicher Theologie ist seit langem etabliert und dokumentiert , allerdings konzentriert er sich auf bestimmte Kernthemen wie die Evolutionslehre. Die Engführung im Austausch zwischen Theologie und Wirtschaftswissenschaften scheint aber noch ausgeprägter zu sein und selten über Fragen der Wirtschaftsethik (im Sinne einer Unternehmensethik) hinaus zu gehen, obwohl die Art unseres Wirtschaftens von zentraler Bedeutung sowohl für die Gerechtigkeitsfrage als auch für die Bewahrung der Schöpfung ist. Ein solcher interdisziplinärer Dialog müsste auch Grundannahmen der Wirtschaftswissenschaften wie das auf den homo oeconomicus reduzierte Bild des Menschen, der ausschließlich rational handelt und dem eigenen Vorteil verpflichtet ist, kritisch hinterfragen. Die Forschungsstätte der evangelischen Studiengemeinschaft FEST in Heidelberg hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine solche kritische Befragung unserer Art des Wirtschaftens und der zu ihrer Beurteilung herangezogenen Messgrößen, die immer auch einen normativen Gehalt haben und etwas über unsere gesellschaftlichen Prioritäten aussagen, vorgenommen. Ebenso hat sie in ihren Publikationen Wege zu mehr Nachhaltigkeit aufgezeigt. Eine kritische Analyse der politischen Konzepte für ‚alternatives‘ Wirtschaften ergab u.a., dass sie sich in den meisten Fällen auf das Erreichen eines Klimaschutzziels (1,5 oder 2° Ziel) beschränken, und andere Ziele der „Großen Transformation“ (z.B. Erhaltung der Biodiversität, und von funktionsfähigen Ökosystemen) kaum berücksichtigt . Zu einem umfassenden Verständnis von Nachhaltigkeit gehört auch die fiskalische Nachhaltigkeit, also der Verzicht darauf, finanzielle Ressourcen im Vorgriff auf künftige Generationen schon heute zu verbrauchen. In einer Wirtschaft, die auf Wachstum als Allheilmittel verzichtet, ist dieses Problem umso gravierender. Gelegentlich scheint es, als hätten manche Befürworter einer grünen Ökonomie (aber nicht nur diese) hier ihren Blinden Fleck.
    Diese Überlegungen deuten auf die Notwendigkeit eines fortwährenden Dialogs zwischen Theologie und Wirtschaftswissenschaften hin, der aktuelle wirtschaftliche und politische Fragestellungen einbezieht – gerade auch in Zeiten einer Pandemie, die die öffentliche Debatte zur Zeit noch bestimmt.

Ausgehend von diesen Thesen fordern wir als Evangelische Akademikerschaft

Mit Quellenangaben versehen finden Sie diesen Text als PDF hier.

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