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Verlautbarung der EAiD zum Konfliktfeld Israelkritik und Antisemitismusvorwurf

Vorbemerkung:

In den letzten Jahren haben die Behinderungen von öffentlichen Veranstaltungen, Stellungnahmen und Diskussionen stark zugenommen, die sich mit der Kritik an Menschenrechtsverletzungen gegenüber Palästinensern/innen auf der Grundlage von israelischer Politik befassen. Auch Veranstaltungen im Rahmen der EAiD waren davon betroffen. Vor diesem Hintergrund hat eine Arbeitsgruppe der EAiD unter Leitung von Rolf Freudenberg die nachfolgende Stellungnahme erarbeitet. Diese wurde bei der Delegiertenversammlung als beschlussfassendes Organ der EAiD am 10.07.2021 mit großer Mehrheit als ihre Verlautbarung beschlossen. Mit ihr spricht sich die EAiD  gegen derartige Einschränkungen und Verbote durch staatliche, kommunale oder kirchliche Institutionen aus. Die Einordnung einer  kritischen Auseinandersetzung mit der Politik des Staates  Israel gegenüber den Palästinensern als per se antisemitisch wird der Sache nicht gerecht und ist nicht zu vereinbaren mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung, wie es im Grundgesetz garantiert ist.

Verlautbarung der Evangelischen Akademikerschaft in Deutschland (EAiD) zum Konfliktfeld „Israelkritik und Antisemitismusvorwurf“

  1. Das Verhältnis zwischen dem Staat Israel und den Palästinensern ist seit Jahrzehnten geprägt von gewaltsamen Konflikten, die zu zahlreichen Toten und unermesslichem Leid der Bevölkerung auf beiden Seiten geführt haben. Die neuerliche Eskalation hat auch in Deutschland wieder zu Diskussionen geführt, wie eine legitime Kritik an der Mitverantwortung Israels an dieser Situation geäußert werden kann. Vortrags- und Informationsveranstaltungen stehen häufig unter dem Generalverdacht der Beförderung des Antisemitismus, wenn dort die völkerrechtswidrige Besetzung palästinensischer Gebiete durch Israel und eine Verletzung der Menschenrechte gegenüber der palästinensischen Bevölkerung im Gaza-Streifen, in der Westbank, aber auch ihrer Benachteiligung in Israel selbst thematisiert werden. Sie sind deshalb von staatlichen und kirchlichen Institutionen in der Vergangenheit immer wieder durch die Verweigerung von Räumen oder andere Maßnahmen behindert oder ganz verboten worden. Auch Veranstaltungen der EAiD waren davon betroffen. Es besteht daher Anlass zu einer grundsätzlichen Stellungnahme der Delegiertenkonferenz zum Antisemitismus im Zusammenhang mit einer kritischen Auseinandersetzung mit der historischen Rolle und dem aktuellen politischen Verhalten des Staates Israel im Nahost-Konflikt. Dabei kann es nicht darum gehen, die kritikwürdigen Anteile der palästinensischen Führung auszublenden. Bei ihnen gibt es jedoch keine vergleichbaren Sanktionen im politischen Diskurs.
  1. Es steht außer Frage, dass auf dem Hintergrund des Unrechts und des Schreckens der Judenverfolgung in der NS-Zeit kritische Äußerungen zur israelischen Politik aus Deutschland eine besonders sensible Angelegenheit darstellen. Wir sehen es als eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe an, der Verharmlosung und Leugnung dieser dunklen Seite unserer Geschichte sowie antisemitischen Haltungen und Aktivitäten jeglicher Art entschieden entgegenzutreten. Auch das Existenzrecht des Staates Israel und sein Recht zu einer Selbstverteidigung mit angemessenen Mitteln gegenüber militärischen oder terroristischen Angriffen stehen für uns außer Frage.
  1. Wir sind zugleich davon überzeugt, dass eine Lösung des Konflikts zwischen dem Staat Israel, den Palästinensern und den arabischen Staaten nur auf der Basis der Einhaltung des Völkerrechts, der Achtung der Menschenrechte durch alle Beteiligten und eines gerechten Ausgleichs der jeweiligen Interessen auf gleichberechtigter Ebene erfolgreich sein kann. Das ist aber nur möglich, wenn auch Maßnahmen des Staates Israel gegenüber den Palästinensern, die dem Völkerecht und den Menschrechten widersprechen, als solche benannt und öffentlich ungehindert diskutiert werden können. Zu denken ist hier vor allem an die völkerrechtswidrige Besiedelung palästinensischer Gebiete, die Enteignung oder Zerstörung palästinensischen Besitzes, die Einschränkung der Freizügigkeit und die Benachteiligung im Wirtschafts- und Sozialleben und im Rechtswesen.
  1. In Deutschland ergibt sich das nicht zuletzt aus der Garantie der Meinungsfreiheit aus Art. 5 des Grundgesetzes. Das bedeutet nicht, dass der Meinungsfreiheit keine Grenzen gesetzt sind. Die Grenze wird dort überschritten, wo antisemitische Äußerungen und Handlungen dazu beitragen, die Juden in ihrer Gesamtheit als Gattungsbegriff oder in ihrer persönlichen Ehre und Menschenwürde durch Zuschreibung negativer Eigenschaften zu diskriminieren. Das genießt nicht den Schutz von Artikel 5 GG. Eine auf die Sache bezogenen Kritik an der Politik des Staates Israel gegenüber den Palästinensern und die Einforderung, auch ihnen gegenüber das Völkerrecht und die Menschenrechte nicht zu missachten, ist aber durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Der darüber notwendige gesellschaftliche Diskurs darf durch eine einseitige Rücksichtnahme auf die politischen Interessen des Staates Israel nicht mit Denk- und Redeverboten behindert oder sogar ganz unterbunden werden.
  1. Im Blick auf den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17.05.2019 und die Stellungnahme der EKD vom 29.02.2020 zur BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) beteiligen wir uns nicht an Aufrufen zu allgemeinen Boykott- und Sanktionsmaßnahmen gegen Israel. Wir betrachten allerdings die BDS-Bewegung nicht als per se antisemitisch und sehen in der Kennzeichnung von Waren aus den besetzten Gebieten im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ein zulässiges und wirksames Instrument für gewaltfreien Widerstand gegen die völkerrechtswidrige israelische Siedlungspolitik.
  1. Die Bundesrepublik Deutschland hat in Art. 1 des Grundgesetzes nicht nur die Unverletzlichkeit der Menschenwürde postuliert, sondern das deutsche Volk bekennt sich in Art. 1 Abs. 2 auch zu „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“. Gerade auf dem Hintergrund seiner historischen Schuld gegenüber den Juden trägt Deutschland eine besondere Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte, wo auch immer sie gefährdet sind. Die Anmahnung an die deutsche Politik, diese auch gegenüber dem Staat Israel wahrzunehmen, ist deshalb kein Ausdruck von Antisemitismus, sondern die Einforderung einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung.
  2. Die EAiD setzt sich deshalb dafür ein, dass in der öffentlichen Diskussion in Deutschland zum Konfliktfeld Israel – Palästina auch die Verpflichtung Israels zur Einhaltung des Völkerrechts und der Menschenrechte gegenüber Palästinensern zu thematisieren ist. Wir sind davon überzeugt, dass gerade der offene Umgang mit dieser Thematik ein wirksames Mittel darstellt, antisemitische Vorurteile zu bekämpfen. Die Delegiertenkonferenz begrüßt es, dass der Arbeitskreis Israel-Palästina es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit einer längeren Ausarbeitung zu den Ursachen und Erscheinungsformen des Antisemitismus und zur Beurteilung des Nahost-Konflikts einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion zu leisten.
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