Zerbrochener Friede. Kann das Heilige Land die Trümmer überwinden? Nachbericht zum Ökumenischen Abend am 25. Januar 2024

Zum Krieg im Hl. Land referierte Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz. Den Rahmen in der Gebetswoche für die Einheit der Christen bot wieder der „Ökumenische Abend“, den die kath. und evangelische Akademikerschaft als liturgisch-ökumenische Feier wie jedes Jahr mit Unterstützung der ev. Erlöserkirchengemeinde ausrichtet. Besonderes Highlight war in diesem Jahr das musikalische Element, denn der Madrigalchor sang zur grundlegend renovierten Orgel in der Erlöserkirche. Hier sehen Sie nochmals das Einladungsschreiben.

Dr. Rudolf Diersch begrüßte ca. 70 Gäste in dem beheizten und wunderschönen Gotteshaus. Er legte ihnen die Kollekte ans Herz, die in diesem Jahr für ein Bewässerungsprojekt in Burkina Faso gehen soll. Es ist ein Land, das einen erfolgreichen Aussöhnungsweg zwischen den Religionen beschritten hat; Muslime und Christen kämpfen nun gemeinsam gegen den Hunger in der Region.

Wie kam es zum Krieg im Gaza-Streifen?

Im Hl. Land ist mit dem Überfall der Hamas am 07.10.2023 ein jahrzehntelanger Versöhnungsversuch zunichte gemacht worden.  1994 begann dieser mit dem Gaza-Jericho-Abkommen, in dem Autonomierechte palästinensischer Gebiete präzisiert wurden und Jassir Arafat als erster Präsident die Selbstverwaltung aufbaute. Leider – so der Referent – sorgte viel Störfeuer dafür, dass die so angestrebte „2 Staaten Lösung“ nicht wirklich umgesetzt werden konnte. So wurde am 04.11.1995 der israelische Ministerpräsident und Architekt des Friedensprozesses im Nahen Osten, Jitzchak Rabin, von einem fanatischen Israeli erschossen. Der gesamte Friedensprozess geriet ins Stocken, radikale Kräfte gewannen auf beiden Seiten die Oberhand. Als Beispiel nannte Kopp die Provokation vom damaligen Oppositionspolitiker Ariel Scharon am 28. September 2000: er besuchte den unter islamischer Verwaltung stehenden Tempelberg in Jerusalem, welches viele Palästinenser empörte. Ihre Demonstrationen wurden mit Waffengewalt zurückgedrängt; das war der Beginn der 2. Intifada mit vielen palästinensischen Selbstmordanschlägen und israelischen Vergeltungsschlägen.

Im Ergebnis entstanden zwei zutiefst in sich gespaltene Gesellschaften: auf israelischer Seite die orthodoxe und eher weltliche Fraktion, räumlich zu verorten in Jerusalem und Tel Aviv. Auf palästinensischer Seite die Fraktionen Westbank, Gaza und Araber in Israel mit jeweils anderen politischen Motiven. In Gaza wurden die letzten demokratischen Wahlen am 25.01.2006 durchgeführt: die Hamas wurde gewählt und gab seitdem die Macht nicht mehr ab. Sie zweigte viele Hilfsgelder arabischer und internationale Organisationen ab für den Ausbau der weitreichenden Tunnelsysteme, die militärisch gegen Israel gerichtet waren und dabei zu Lasten der Wohnbevölkerung gingen.

Papst Franziskus besuchte die israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem am 26.05.2014. In seiner Rede führte das Wort an, das Gott nach dem Sündenfall zu Adam sprach: Wo bist du? Darin schwang der große Schmerz des Schöpfers über den Verlust des geliebten Geschöpfes mit. Auch deshalb, weil die Abwendung von Gott den Sturz in einen bodenlosen Abgrund zur Folge haben kann; der Holocaust ist dafür ein erschütterndes Beispiel. Und wie Kopp meint, ist es der 07.10.2023 auch: Es gibt nahezu keinen Israeli, der nicht Bekannte oder Verwandte unter den 1.200 Ermordeten und 240 Geiseln hat, die auf den Hamas-Überfall zurückführen. Ebenso gibt es keinen Palästinenser im Gaza-Streifen, der in seinem Umfeld kein Opfer der israelischen Gegenschläge zu beklagen hat.

Die Folge ist eine gefährliche Radikalisierung ganzer Bevölkerungsschichten. Es ist schon erstaunlich, dass sich der Konflikt nicht – so wie von der Hamas wahrscheinlich beabsichtigt – in einen Flächenbrand ausgeweitet hat.  Die arabische Welt (z.B. die Hisbollah) halte erstaunlich still angesichts der brutalen Gegengewalt, die Israel nunmehr seit Monaten ausübt. Auch im Westen wird die Verhältnismäßigkeit dieser Militäraktionen Israels insbesondere gegenüber der palästinensischen Zivilbevölkerung mehr und mehr in Frage gestellt. Kopp sieht hier die Europäische Union gefordert zu vermitteln, denn USA sei mit den Wahlen und Russland mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt.

Und der Iran zündelt in der Region und findet dabei viele Verbündete. Wie z.B. die Huti-Rebellen im Jemen, die durch den Beschuss im Roten Meer die Amerikaner zu Einsätzen in der Region herausfordern.

Welche Wege hin zum Frieden gibt es?

Aus dem Konflikt heraus führen kann nach Ansicht von M. Kopp eine Zwei-Staaten-Lösung, aber diese nur mit gemäßigten politischen Akteuren. Deshalb sind Maßnahmen zu suchen und anzustreben, die eine radikale „Entradikalisierung“ beider Seiten ermöglicht. Kopp nannte hier neben dem politischen System auch das Militär und die Bildung. Auf allen Ebenen und auf beiden Seiten muss die Sehnsucht nach Frieden (s. Psalm 122) geweckt werden. Dabei können die 1.200 Christen im Hl. Land unterstützt werden, schon jetzt sind sie wichtige Verbündete in der Region im Bereich Bildung und Caritas.

Aktuell ist es aber so, dass auf politischer Ebene gemäßigte Nachfolger nicht in Sicht sind. Auf palästinensischer Seite kennt Kopp einige Frauen, die geeignet wären, aber in der arabischen Männerwelt wenig Chancen haben.

Um zu vermeiden, dass der Konflikt als Religionskrieg gedeutet wird, sollte bei Berichterstattungen nie vom „jüdischen Volk“, sondern immer vom „Staat Israel“ gesprochen werden.  Und im interreligiösen Dialog sollte hervorgehoben werden, dass alle Religionen friedens- und nicht kriegsstiftende Ziele verfolgen.

Als Ideal, ob auch als Utopie bezeichnete Kopp eine „Ein-Staaten-Lösung“, in der Palästinenser und Israelis in einer parlamentarischen Demokratie Konflikte mit Argumenten statt mit Waffen austragen. Zwar würden hier einige (strukturelle) Hürden der Zwei-Staaten-Lösung theoretisch umgangen (Aufrüstung statt Diplomatie, Abriss von illegalen Siedlungen in Palästinenser-Gebieten etc.), aber praktisch sei aufgrund unterschiedlicher Ideologien (Existenzrecht Israels…) die Bereitschaft für die Bildung einer gemeinsamen Verfassung höchstens bei den gemäßigten Kräften vorhanden, die aber zu schwach sind, um durchzudringen.

Und was können die Kirchen tun?

Kopp nennt hier als erstes das Gebet, dessen Wirkung man nie unterschätzen darf. Aber auch materielle Unterstützung sowie Förderung der Bildung sind wichtig, wenn man sicher sein kann, dass sie friedensstiftend eingesetzt werden.

Rom habe als Vatikanstaat die Möglichkeit, auf Augenhöhe Diplomatie zu betreiben und wird auch von der Weltgemeinschaft immer wieder als Schlichter angerufen, wenn Weltmächte sich abwenden. So wie z.B. damals im Irak: dort ist mittlerweile ein Versöhnungsprozess eingeleitet, der schon seit über einem Jahr ein friedliches Zusammenleben von Christen, Sunniten und Schiiten ermöglicht.

Der Papst lud im November 2023 Israelis und Palästinenser ein, die Familienmitglieder verloren hatten, um Trauerarbeit zu leisten. Auch hier mahnte er zum Gebet für den Frieden und für ein Ende des Krieges. Ohne Schuldzuweisung – wenn auch von Israel eingefordert. Vermittlung ist ein schwieriges Geschäft – gerade in heißen Konflikten. Aber wichtig ist sie – denn durch Krieg verlieren alle.

Von links: Matthias Kopp, Dr. Rudolf Diersch, Prof. Wendelin Knoch, Pfr. Klaus Künhaupt, Prof. Hans-Georg Krengel

Vortrag und Diskussion an diesem Abend waren für viele Besucher sehr aufwühlend. So sprachen die beiden Geistlichen zum Abschluss den aronitischen Segen (ev. Pfarrer K. Künhaupt) und den trinitarischen Segen (kath. Prof. W. Knoch) über die ökumenische Gemeinde.

Text: Franz Kampmann, KAR

Fotos: Michael Herforth, KAR