Glauben und Naturwissenschaft – zwei Wege zur Bewältigung von Wirklichkeit Impuls 4

Es handelt sich bei Glauben und Naturwissenschaft um zwei Möglichkeiten, sich die Weltwirklichkeit anzueignen, die jedoch jeweils auf unterschiedlichen Fragestellungen, Methoden und Zielsetzungen beruhen.

Naturwissenschaften widmen sich vorwiegend der methodischen Erforschung der natürlichen, sozialen und geistigen Welt des Menschen auf der Grundlage von Theorien, Beobachtungen und Experimenten. Sie liefern belegbare Fakten und Szenarien, die Prognosen erlauben, verfügen aber niemals über endgültige Erkenntnisse und unverrückbare Wahrheiten. Deshalb suchen sie immer nach neuen, weiterführenden Erklärungsversuchen. Sie verwenden dabei Annahmen und Modelle, mit denen sie ihre Ergebnisse interpretieren. Doch selbst Erkenntnisse, die in sich stimmig scheinen, sind falsch, wenn sie in Widerspruch zu neuen Ergebnissen geraten.

„Eine Haltung wissenschaftlicher Erklärungs- und Deutungs-Allmacht“ charakterisiert Lars Jaeger („Wissenschaft und Spiritualität“, Springer 2017) als Ideologie.

Zugänge zu den existentiellen Fragen des Menschen, zu Fragen nach dem Warum und dem Sinn unserer Existenz im Weltganzen sind keine naturwissenschaftlichen Fragestellungen und werden deshalb auch nicht von den Naturwissenschaften bearbeitet.

Glaube ist eine geistliche Reflexions- und Lebensform, die sich auf eine Reihe von (Glaubens-) Annahmen über die natürliche, soziale und geistige Welt des Menschen stützt.

Glaube bemüht sich, die Welt als Ganzes wahrzunehmen.

„Der Kern aller Religion ist nicht die Frage nach der Natur physikalischer Prozesse, sondern die Frage nach Erlösung, Tod, Schmerz, Leiden oder die Sehnsucht nach Gerechtigkeit “ (H. D. Mutschler, “Physik und Religion“).

Glaubens-Aussagen werden nicht auf der Grundlage naturwissenschaftlicher Methoden formuliert.

Beim Glauben geht es um religiöse Lebenserfahrungen und um ihre subjektive Bewältigung.

Er wird als existentiell und mit innerer Gewissheit erfahren.

Diese innere Gewissheit kann erlebt werden als bleibende Grundhaltung des Vertrauens, obwohl die Welt oft wenig vertrauenswürdig erscheint. Sie stiftet mutmachende Grundgefühle eines lebensfähigen Lebens, nämlich sich getragen und angenommen zu wissen. Zugleich ermöglicht sie und fordert heraus, die eigenen Motivationen von der Liebe bis zum politischen Engagement begründen zu können.

In jeder Lebenserfahrung kann eine tiefe Dankbarkeit für das IN-DER-WELT-SEIN-Dürfen ungegenständlich wahrgenommen werden, die über die Dankbarkeit gegenüber liebevollen Menschen hinausreicht. Eine Sinnerfüllung menschlichen Lebens trotz aller Sinnlosigkeiten in der Welt wird durch diese vom Glauben getragene Grundhaltung des Beschenktseins erfahren.

Obwohl Glaube ein existentieller Akt ist, ist auch er auf Vernunft angewiesen.

Abzulehnen sind jedoch jegliche absolute Wahrheitsansprüche, weil sie innere Erfahrungen, so gewiss sie dem Glaubenden selbst erscheinen mögen, übergriffig auf andere übertragen.

M. S.

 

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3 Gedanken zu „<span class="entry-title-primary">Glauben und Naturwissenschaft – zwei Wege zur Bewältigung von Wirklichkeit</span> <span class="entry-subtitle">Impuls 4</span>“

  1. Glaube, der sich auf die Aussagen der Bibel (AT und NT) gründet, wird getragen von dem, was Gott, der Schöpfer, Erlöser und Vollender im Laufe der Geschichte seiner Schöpfung durch seine Propheten offenbart hat. Das Erfassen der Wahrheit Gottes ist durch kein noch so ehrliches Suchen zu erreichen, sondern nur durch das gnädige Wirken Gottes durch den Heiligen Geist als Geschenk zu bekommen. Dieses Geschenk möchte Gott allerdings allen Menschen machen.
    Aller allein durch das eigene Denken gewonnene ” Glaube” ist letztlich Philosophie, die die Wahrheit Gottes nicht erreicht.

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  2. Selbstverständlich kann sich Glauben auf die Aussagen des AT und NT beziehen.
    Andererseits erfahren Menschen auch Glauben durch das, was sie in ihrem Leben erleben, so wie letztlich die Gotteserfahrungen im AT und NT auch durch Lebenserfahrungen geprägt wurden.
    In meinem Text ging es nicht speziell um den christlich-biblischen Glauben, sondern um
    Glauben als eine geistliche Reflexions- und Lebensform.
    Dieser wird als existentiell und mit innerer Gewissheit erfahren.
    Er stärkt Grundhaltungen des Vertrauens und der Dankbarkeit.
    Ein solcher Glaube wird als existentiell bedeutsam empfunden und deshalb immer wieder auch reflektiert.

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  3. Ich bleibe an der Unterscheidung, gar dem Gegensatz zwischen “das gnädige Wirken Gottes durch den heiligen Geist” und “das eigene Denken” hängen.
    Es ist ja nicht so, dass ich meine Gedanken selber mache, sie geschehen mir. Freilich will ich aber auch nicht so weit gehen, dass alle Gedanken, die ich in dieser Weise vorfinde, von der Art “gnädiges Wirken…” sind. Nenne ich ersteres “Glauben” und letztere “Denken”, stellt sich die Frage, wie ich denn eigentlich das eine vom anderen unterscheiden kann. Und da finde ich das von M. S. angebotene Kriterium: “Glauben wird als existenziell und mit innerer Gewissheit erfahren” hilfreich.
    Wenn ich logisch und sorgfältig im Denken vorgehe, stärkt das die innere Gewissheit, ohne dass die Gedanken mich existentiell betreffen müssten. Sie sind dann “nur” auf philosophische Weise eher “wahr”. Umgekehrt können mich Gedanken geradezu existenziell überrumpeln, ohne dass eine klare, innere Gewissheit mit ihnen verbunden wäre. Wenn ich beispielsweise würdelos behandelt werde, braucht es eine Weile, bis die dadurch ausgelöste Empörung nachlässt und hässliche Gedankenschleifen abebben, ohne dass damit eine Gewissheit von Würdelosigkeit von mir oder dem anderen verbunden wäre. Doch wenn beides zusammenkommt und es mich sowohl existenziell packt als auch mit der Gewissheit von Stimmigkeit und Wahrheit verbunden ist, dann darf ich wohl zurecht von einer Glaubenserfahrung sprechen.

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